Zerstörter Traum vom Ruhm
Mädchenbein erschien und tastete nach dem Straßenpflaster, dann noch ein Bein – ein blonder Lockenkopf beugte sich vor. Poltecky war stehengeblieben und preßte die Aktentasche an sich. Ich bin wahnsinnig geworden, dachte er. Die sieben Wochen Haft haben mich ausgehöhlt. So etwas gibt es doch nicht – das ist doch nur die Gaukelei einer nicht kontrollierbaren Phantasie.
Das blonde Mädchen stand nun auf der Straße. Sie schien noch etwas unsicher zu sein. Als sie zu gehen begann, war es, als taste sie sich über blankes Eis und habe Angst, auszugleiten. Aber es ging. Die Beine bewegten sich, sie tasteten vor, trugen den Körper weiter, langsam zwar, aber aus eigener Kraft.
Poltecky fühlte, wie die Aktentasche aus seinem Arm rutschte. Er hielt sie nicht auf – sie fiel auf die Straße.
»Julia Opperberg …«, stotterte er. »Das ist – das ist …« Es war, als zucke ein Schlag durch seinen Körper. Er stürzte vor, und mit einem plötzlichen Würgen im Hals sah er, daß auch Julia zu laufen begann – ja, sie lief, die Arme hatte sie vorgestreckt, die blonden Haare flatterten.
»Julia!« schrie Poltecky entsetzt. »Julia! Bleiben Sie stehen! Sie fallen – bleiben Sie stehen! Ich flehe Sie an – Julia!«
Er rannte wie besessen auf sie zu. Als er vor ihr stand, verließen Julia die Kräfte. Poltecky fing sie auf, hob sie empor auf seine Arme und trug sie auf den Wagen zu, aus dem jetzt Konsul Opperberg stieg.
»Sie kann gehen«, stammelte Poltecky, als Opperberg vor ihm stand. »Sie kann wirklich gehen.«
Opperberg nickte und schluckte. Er spürte, wie seine Augenwinkel feucht wurden, und er kämpfte dagegen, es nicht zu zeigen.
»Sie hat vier Wochen geübt. Sie wollte Sie selbst empfangen – Ihnen entgegengehen – Sie ins Leben zurückholen, Poltecky.«
»Ich bin nicht mehr Poltecky.« Er legte Julia auf den Rücksitz des großen Wagens. Als er sich aufrichten wollte, hielt ihn Julia an der Hand fest.
»Sie werden es wieder sein«, sagte sie leise.
»Ich bin ein Phantast. Ich bin ein Stümper, ein Nichts. Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich will im Grau des Alltags untertauchen – denn dort gehöre ich hin.«
»Sie haben Julia gesund gemacht«, sagte Opperberg. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. »Sie kommen zuerst zu uns nach Honnef. Dann wollen wir weitersehen.«
»Ich …« Franz atmete tief auf. »Es ist doch …«
»Bitte«, sagte Julia schwach. »Bitte, Franz …«
Sie zog ihn an der Hand in den Wagen hinein. Opperberg schüttelte den Kopf, als er die Tür schloß und sich hinter das Steuer setzte.
»Woher nehmen Sie bloß das Glück bei den Frauen?«
»Ich weiß es nicht.« Franz spürte die kalte Hand Julias über seine Finger streichen. »Jeder Mensch hat seine tragische Note.«
»Ich werde sie Ihnen austreiben!«
»Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen. Und ich bin eine Last. Ich bin das alles nicht wert. Bitte, setzen Sie mich an irgendeiner Ecke ab – und vergessen Sie mich. Bitte!«
»Wenn Sie weiter so dumm reden, tue ich es wirklich«, sagte Stephan Opperberg. Dann fuhr er an, schoß aus der kleinen Gasse heraus.
Franz spürte Julias Nähe. Fast unmerklich lag ihre Hand über der seinen. Ihre Blicke trafen sich. Franz las aus den strahlenden Augen des Mädchens ein Versprechen.
Und plötzlich fand er das Leben wieder schön. Er gewann den Mut zurück, um seine Zukunft zu kämpfen. Nur um seine Zukunft? Er nahm Julias Hand und wußte, daß er nie mehr allein sein würde.
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