Zerstörter Traum vom Ruhm
früh ab, nicht wahr?«
»Wenn der Arzt es erlaubt.«
»Er muß es erlauben! Ich werde nur zu Hause ganz gesund.«
Sie dehnte sich im Liegen, legte die Arme unter den Nacken und schloß die Augen. »Und jetzt will ich schlafen – jetzt ist ja alles gut.«
Im Hamburger Untersuchungsgefängnis stand Franz v. Poltecky dem Gefängnisdirektor gegenüber.
Sein Anzug war ein wenig zerknittert. Das Angebot, einen neuen Anzug von Konsul Opperberg zu tragen, hatte er abgelehnt. Auch das Geld, das ihm sowohl Martina Schneewind wie auch Carola Pfindt oder Erna Vorwerck ins Gefängnis schickten, hatte er zurückgewiesen und die Verwaltung gebeten, es wieder an die Frauen zurückzusenden.
»Ich will nichts mehr mit meinem früheren Leben zu tun haben«, hatte er gesagt. »Ich bin wieder Franz Schuster – sonst niemand!«
Der Gefängnisdirektor blätterte in den Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen. Poltecky wartete geduldig an der Tür, wortlos, blaß, ein Mensch ohne Hoffnung auf das Morgen.
»Sie werden in einer Stunde entlassen, Herr Schuster«, sagte der Direktor und winkte Poltecky, sich zu setzen. »Sie wissen, daß Ihr Prozeß in der Öffentlichkeit einiges Aufsehen erregt hat?«
»Ich ahne und befürchte es.«
»Sie werden deshalb nicht – wie bekanntgegeben – um zehn Uhr, sondern schon um neun Uhr entlassen! Ich habe die Anweisung, Sie noch einmal darauf hinzuweisen, daß Sie keinerlei Presse- oder Rundfunkinterviews über das geben dürfen, was Sie erlebt haben. Im Interesse des Staates.«
»Ich will von allem nichts mehr hören. Ich will in Ruhe gelassen werden – das ist mein einziger Wunsch.«
»Sie kehren nach Köln zurück?«
»Vorläufig. Ich werde wahrscheinlich in den Süden ziehen, um dort wieder – wo ich unbekannt bin – von vorn anzufangen. Wenn man mir eine Chance gibt.«
»Sie müssen sich sofort beim Wohnungswechsel bei der Polizei melden.«
»Ich weiß.«
Der Gefängnisdirektor schob Poltecky die Entlassungspapiere zu. Dann reichte er ihm die Hand hin. Es war keine Geste, sondern eine ehrliche Freundschaftsbezeigung.
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Herr Schuster«, sagte er. »Ich habe Ihre Akten gelesen. Sie sind eine der merkwürdigsten Gestalten, die bei uns gewesen sind. Man könnte – wenn es ginge – mit einem Auge lachen und mit dem anderen weinen. Eigentlich sind Sie das Opfer – ein Opfer der menschlichen Dummheit. Aber Dummheit ist ja nicht strafbar.«
»Ich glaube, alle, die mit mir zu tun hatten, haben mich verkannt.« Poltecky nahm die Entlassungspapiere. Sieben Wochen Haft nach dem Freispruch, dachte er. Schutzhaft, wie der kleine Mann aus Bonn sagte. Erst nach der Aburteilung von Dicocca, Brandenburg und Subelkian war die Haft aufgehoben worden. Der wertvolle Zeuge war gerettet worden – nun konnte er hingehen, wohin er wollte.
Dann stand er auf dem langen Gefängnisflur und hielt seine Entlassungspapiere in der Hand, offen, ungefaltet, als müsse er sie bei jedem Schritt vorzeigen, um weitergehen zu können. Der Oberwärter, ein alter Hauptwachtmeister, winkte ihm aus einer Tür zu.
»Kommen Sie. Ihre Sachen abholen! In 16 Minuten ist es neun Uhr – um neun müssen Sie heraus sein, sonst können Sie sich beschweren.«
Poltecky nickte und ging langsam den Gang hinab.
Pünktlich um neun Uhr öffnete sich an einer Seitenmauer die Eisentür in die Freiheit. Poltecky zeigte noch einmal seine Papiere – dann tat er einen weiten Schritt durch die offene Tür und stand auf der Straße. Es war ein Schritt, der aus Poltecky wieder Franz Schuster werden ließ.
Die Straße war still und leer. Es war eine kleine Gasse, die eigentlich nur aus der hohen Mauer des Gefängnisses bestand. Erst weiter hinten mündete sie in die Hauptstraße ein.
Ein einzelner schwarzer Wagen, ein großer Reisewagen, parkte verlassen in der Gasse. Poltecky sah über ihn hinweg auf den hellen Fleck der Gassenmündung.
Dort liefen die Menschen, glitten Autos vorbei – aus dieser Entfernung gesehen –, lautlos, wie Schemen. Dort war das Leben – noch hundert Schritte entfernt –, dort waren Kampf und Neid und Mitleidlosigkeit. Dort waren Menschen!
Poltecky faltete seine Entlassungspapiere zusammen und steckte sie in seinen ungebügelten, zerknitterten Rock. Dann drückte er die Aktentasche, in der er jetzt alles trug, was er besaß, fest unter den Arm, hob den Kopf und ging langsam die kleine Gasse entlang.
Die Tür des Reisewagens öffnete sich plötzlich. Ein schlankes
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