Zeugin am Abgrund
dünner weißer Schleier, der das Gefühl der Unwirklichkeit zusätzlich unterstrich.
Lauren verstand kein Wort der Navajo-Zeremonie, und sie kannte auch nicht die Bedeutung der Rituale, aber sie schlug sich mit ein wenig Unterstützung von Annie und Sam recht wacker. Augenblicke später drängten sich alle um sie herum, klopften ihnen auf die Schultern und beglückwünschten sie.
Dann begab sich die Menge in Annie Zahs kleines Haus, um dort zu feiern.
Mit Rücksicht auf Sam war es eine ruhige und kurze Feier. Nach und nach verabschiedeten sich die Gäste, wünschten Lauren und Sam Gesundheit, Glück und ein langes Leben, bis nur noch die Familie zusammensaß.
Sam und Augustus wussten beide noch nicht so recht, wie sie miteinander umgehen sollten, doch sie gaben sich Mühe, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Als Augustus, seine Schwester und deren Mann sich zum Aufbruch bereitmachten, drückte er ihm die unversehrte Schulter und sagte heiser: “Pass auf dich auf, Sohn. Und wenn du irgendetwas brauchst, dann lass es mich wissen.”
“Also, Dad, eigentlich könnte ich ganz gut ein Mobiltelefon gebrauchen, aber keins, das auf meinen Namen zugelassen ist.”
“Geht klar. In ein paar Tagen bringe ich es dir vorbei.”
Eunice und Walter wünschten den beiden alles Gute, küssten und umarmten Lauren und hießen sie in ihrer Familie willkommen. Als Augustus an der Reihe war, schimmerten seine Augen bedenklich feucht, während er seine schwielige Hand an ihre Wange legte. “Ich wollte immer eine Tochter haben, und ich habe so ein Gefühl, dass du genau die Frau bist, die mein Junge braucht. Ich bin froh, dass er dir begegnet ist, Kleines”, sagte er, beugte sich vor und küsste sie auf die Wange.
Als er sich wieder aufrichtete, sah er zu Sam, der die beiden aufmerksam beobachtet hatte. “Wenn das alles vorüber ist, hoffe ich, dass du ihn dazu überreden kannst, nach Hause auf die Ranch zu kommen, wo er hingehört.”
Lauren reagierte mit einem schwachen Lächeln. Sie konnte ihm einfach nicht erklären, dass sie keinerlei Einfluss auf seinen Sohn hatte und dass diese Ehe wahrscheinlich nach einem Jahr gelöst werden würde. Sie kam sich so verlogen vor.
Schließlich brachen die drei auf. Gerade hatte Lauren die Tür hinter ihnen geschlossen, da kam Annie aus ihrem Schlafzimmer. Sie trug zwei Einkaufstaschen mit Kleidung und Toilettenartikel.
Sam sah sie verwundert an. “Verreist du?”
“Nein, ich ziehe in das Hogan. Solange ihr bei uns seid, wohnst du mit Lauren hier in diesem Haus. Deine Tasche steht schon im Schlafzimmer.”
“O nein, bitte nicht. Wir können dich unmöglich aus deinem eigenen Haus vertreiben”, protestierte Lauren.
“Komm, Grandma, sei vernünftig. Du kannst nicht im Hogan leben.”
“Warum denn nicht? Ich wurde in einem Hogan geboren und habe die meiste Zeit meines Lebens darin gewohnt. Dein Großvater bestand darauf, für mich dieses Haus zu bauen. Ich bin hier eingezogen, um ihm einen Gefallen zu tun.”
“Um Himmels willen. Die Wärme kommt da nur von einem Holzofen. Lauren und ich können bei Larry wohnen.”
“Das ist für ein paar Tage in Ordnung, aber nicht für mehrere Monate. Bei deinem Cousin ist es viel zu beengt, und es wäre eine Belastung für seine Familie. Außerdem brauchen Frischvermählte Privatsphäre.”
“Dann ziehen Lauren und ich ins Hogan.”
“Weiß deine Frau, wie man auf einem Holzofen kocht?” Sams Gesichtsausdruck sagte ihr alles, was sie wissen musste. Annie verschränkte die Arme und lächelte triumphierend. “Siehst du? Ich ziehe ins Hogan.”
“Lauren ist sehr anpassungsfähig, Wir werden das scho…”
“Nein, es ist das Beste, wenn ihr hier wohnt. So kann sie sich besser um dich kümmern und dich gesund pflegen.”
“Verdammt …”
“Gib es auf, Cousin”, rief Larry aus der Küche. “Ich habe mit ihr gesprochen, Zeta ebenfalls, aber es ändert nichts. Sie sucht schon seit Großvaters Tod nach einem Vorwand, um wieder ins Hogan zu ziehen. Nun hat sie einen, und jetzt kann sie nichts mehr aufhalten.” Er sah Annie an und schüttelte lächelnd den Kopf. “Du bist eine sture alte Frau, Annie Zah. Warte eine Minute, damit ich Sam ins Schlafzimmer helfen kann. Dann bringen Zeta und ich dich zum Hogan.”
″Geh ruhig”, sagte Sam. “Das Stück schaffe ich auch allein.”
“Okay, wenn du meinst.”
“Tja, sieht so aus, als würden wir uns hier eine Weile aufhalten”, sagte Lauren mit einem gewissen Unbehagen,
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