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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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sich ansahen, bemerkte Lauren, wie heftig er schluckte. Sie wusste, dass er darum rang, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.
    “Danke, Dad”, murmelte er schließlich und legte den gesunden Arm um ihn. Augustus erwiderte die Umarmung, so gut es ging, ohne Sam an der verletzten Schulter zu berühren.
    Als sie sich wieder gelöst hatten, sah er ihn noch einmal von oben bis unten an. “Und wie geht es dir wirklich, Sohn?”
    “Gut. Gib mir eine Woche, und ich bin so gut wie neu. Aber woher wusstest du, dass Lauren und ich heiraten würden?”
    “Deine Großmutter hat mir über einen gemeinsamen Freund eine Nachricht zukommen lassen.”
    Sam zeigte so selten irgendeine Reaktion, dass sein schockierter Gesichtsausdruck in diesem Moment fast schon etwas Amüsantes an sich hatte. “Machst du Witze? Grandma Zah hat dich eingeladen?”
    “Stimmt. Sie wusste, dass wir hier sein wollten.”
    “Aber dieses Gebiet ist für jeden anderen als einen Navajo tabu.”
    “Mach dir darüber keine Gedanken. Dein Vater, deine Tante und dein Onkel sind als meine Gäste hier.”
    Sam drehte sich um und entdeckte seine Großmutter, die ihren besten gerafften Rock aus rotem Samt und eine hüftlange blaue Bluse trug. Dazu hatte sie einen Gürtel aus silbernen Scheiben und ein Schultertuch in grellen Farben umgelegt.
    “Ich wusste gar nicht, dass du mit Dad und seiner Familie überhaupt ein Wort redest.”
    “Unsere Wege kreuzen sich nicht häufig, aber dein Vater und ich sind keine Feinde. Warum sollten wir das sein? Wir haben beide meine Tochter geliebt.”
    Sam sah sich besorgt um. “Hör mal, Dad, ich freue mich wirklich, dass du gekommen bist. Ich weiß bloß nicht, ob das eine so gute Idee war. Du könntest Carlos Leute auf uns gelenkt haben. Ich bin sicher, dass sie die beiden Ranches beobachten.”
    “O ja, das machen sie. Aber ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen, Sohn. Die Kerle sitzen jetzt an den Einfahrten zu den Grundstücken, trinken Kaffee aus Pappbechern und frieren sich den Hintern ab. Es gibt jedoch viel mehr Wege zur und von der Farm als nur durch die Tore. Wir haben die Grundstücke über die rückwärtige Seite verlassen, sind über ein paar Waldwege gefahren und haben dann einen Highway erreicht. Und genauso werden wir auch zurückfahren. Vertraue mir, die werden niemals mitbekommen, dass wir weg waren. So, und nun geh mir aus dem Weg und lass mich meine künftige Schwiegertochter ansehen.”
    Augustus nahm ihre Hände in seine und sah sie bewundernd an. “Willkommen in unserer Familie, Lauren.”
    “Danke, Sir.”
    “Von wegen Sir. Sag Dad zu mir.”
    Er sah sie von oben bis unten an. Vom Stil her war sie ähnlich gekleidet wie Annie: ein geliehener weiter grüner Samtrock, eine langärmelige Bluse und ein farbenfrohes Navajo-Tuch um die Schultern. So eingekleidet fühlte sich Lauren gehemmt und überhaupt nicht wie eine Braut. Als Augustus sie aber wieder anblickte, sah sie, dass seine Augen verklärt waren und sein raues Gesicht so wie bei Sam sanfte Züge angenommen hatte. “Ach, sieh dich nur an. Kindchen, wenn du nicht ein wunderbarer Anblick für diese müden alten Augen bist, dann weiß ich es auch nicht. Du erinnerst mich an meine eigene wunderschöne Braut.”
    Das Kompliment war zwar bewegend, seine offensichtliche Freude bereitete ihr allerdings Schuldgefühle. “Das ist sehr nett von Ihnen, Mr. Rawlins, aber ich glaube, ich sollte Ihnen sagen …”
    Sam legte seine Hand um ihren Ellbogen. “Bringen wir’s hinter uns, okay?”
    Die sich anschließenden Minuten hatten für Lauren etwas Surreales. Noch vor etwas mehr als einer Woche war ihr Leben in festen Bahnen verlaufen. Von Montag bis Freitag hatte sie vor gelangweilten Collegeschülern Musik unterrichtet, jeden Mittwoch für ihren Boss ein Privatkonzert gegeben und freitags und samstags im Club Classico Klavier gespielt. Es war ein gewöhnliches und ereignisloses Leben gewesen, Welten von dem Leben entfernt, das sie noch vor zwei Jahren geführt hatte. Es war nicht mehr das, was sie erwartet hatte, aber sie hatte sich angepasst.
    Und jetzt stand sie hier und kam sich vor wie ein unbedeutender Punkt in der Landschaft, umgeben von Menschen, die sie nicht kannte, deren Kultur ihr fremd war, um einen Mann zu heiraten, der ihr nicht einmal gesagt hatte, dass er sie liebte. Jedenfalls nicht, wenn er wach und bei Sinnen gewesen war.
    In der Nacht hatte es leicht geschneit. Über der Wüste und den roten Sandsteinformationen lag ein

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