Zeugin am Abgrund
wolle er Laurens Feststellung zusätzliches Gewicht verleihen, eröffnete der Mann wieder das Feuer. Kugeln pfiffen um das Heck des Schneemobils, während sich andere in den Schnee gruben und kleine weiße Fontänen aufwirbelten. Lauren kreischte und klammerte sich wieder fester an Sam.
Sie wusste, dass er mit der höchsten Geschwindigkeit fuhr, die der Motor leistete, trotzdem schrie sie ihm zu, er solle schneller fahren. Zu ihrem großen Entsetzen brachte er das Schneemobil plötzlich zu einem abrupten Halt und ließ es so schleudern, dass er fast quer zur Fahrtrichtung der anderen Maschine stand. Sie gaben eine perfekte Zielscheibe ab.
“Was gibt das? Bist du verrückt?”
“Beruhige dich”, sagte Sam und hielt den Blick auf ihren Verfolger gerichtet, während er sein Gewehr in Anschlag brachte und auf den Killer zielte.
In aller Seelenruhe wartete er.
“Schieß doch endlich!” herrschte Lauren ihn fast hysterisch an.
Der Mann fuhr geradewegs auf sie zu. Mit der einen Hand lenkte er, mit der anderen hob er seine Waffe. Lauren hielt sich den Mund zu, um nicht zu schreien, und machte sich darauf gefasst, dass sich jeden Augenblick Kugeln in ihren Körper bohrten und ihrem Leben ein Ende setzten.
Plötzlich schwenkte Sam den Lauf seines Gewehrs fort von ihrem Angreifer und richtete es auf eine Schneewechte nahe der Bergspitze und betätigte den Abzug. Der Schuss hallte durch das ganze Tal.
Dann folgte ein unheilvolles Grollen, und Augenblicke später setzten sich Tonnen von Schnee, Eis und Geröll in Bewegung und rutschten talwärts.
15. KAPITEL
“O mein Gott!” Lauren starrte entsetzt auf die Lawine, die sich auf sie zu bewegte. “Wir werden sterben!”
“Von wegen. Halt dich fest!” schrie Sam und gab Gas.
Die Maschine raste los und schoss mit Höchstgeschwindigkeit so über den Schnee, dass der Motor laut aufheulte. Lauren machte die Augen zu und hielt sich an Sam fest, während das entsetzliche Grollen immer lauter wurde. Sie rechnete damit, dass sie jede Sekunde unter Tonnen von Schnee begraben würden.
Sie wollte nicht hinsehen, aber eine unwiderstehliche morbide Faszination zwang sie dazu, nach oben zum Berghang zu blicken. Sie riss die Augen noch weiter auf und schrie erneut, aber diesmal ging der Schrei im Getöse der zu Tal stürzenden Geröll- und Schneemassen unter, die kleine Bäume niederwalzten und immer mehr Schnee und Eis mit sich rissen.
Lauren blickte über die Schulter und suchte zunächst vergeblich nach ihrem Verfolger. In dem Moment wurde ihr bewusst, dass Sam damit gewartet hatte, die Lawine auszulösen, als sich der Killer genau auf der richtigen Höhe befand.
Jetzt war ihr Verfolger selber auf der Flucht. In Panik versuchte er der Lawine zu entkommen.
Er würde es nicht schaffen. Lauren sah, wie der vorderste Ausläufer der Massen die Lücke zum Schneemobil unerbittlich schloss und den Mann schließlich unter sich begrub.
Sam steuerte zielsicher einen Bereich an, an dem sie vor der Lawine in Sicherheit sein würden.
Aber sie waren es noch nicht. Faustgroße Stücke Schnee und Eis, die von der erzitternden Erde gelöst worden waren, eilten der tödlichen weißen Wand voraus. Lauren schrie auf, als einige dieser Stücke die linke Seite des Schneemobils trafen und es aus der Bahn zu werfen drohten.
“Halte durch!” rief Sam. “Wir haben es fast geschafft!”
Auf den nächsten gut hundert Metern wurden sie immer wieder von den Vorboten der Lawine getroffen, doch schließlich waren sie in Sicherheit.
Und dann war auf einmal außer dem Dröhnen des Motors nichts mehr zu hören. Über dem Tal lag eine gespenstische Stille.
Als sie das Durango Mountain Resort erreicht hatten, begann es zu dämmern. Nur eine Hand voll unerschütterlicher Skifahrer hielt sich noch auf den Hängen auf. Sam spürte, wie Lauren sich verkrampfte, da ihr Griff um ihn fester wurde, während er das Schneemobil zu der Gruppe hell erleuchteter Gebäude lenkte.
Er konnte sich gut vorstellen, welche gemischten Gefühle sie jetzt hatte. Sie waren fast eine Woche lang vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen, und auch wenn sie wahrscheinlich froh war, die Wildnis hinter sich zu lassen, wusste sie, dass der Kontakt mit anderen Menschen das Risiko erhöhte, entdeckt zu werden.
“Keine Sorge, im Moment ist es am sichersten, hier unterzutauchen”, sagte er über die Schulter.
Sam fuhr langsam um die Ferienanlage herum, bis er eine Ansammlung von Schneemobilen ausmachte. Er wusste, dass sie
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