Zeugin am Abgrund
irgendwo hatten stehen müssen. In jedem Skigebiet wurden sie eingesetzt, um Vermisste zu suchen und Verletzte zu bergen.
Er hielt im Schatten an und beobachtete das Areal. Als niemand in der Nähe war, lenkte er das Schneemobil zu den anderen geparkten Maschinen und stellte es neben zwei identisch aussehenden Modellen ab, die das Logo des Durango Mountain Resort trugen.
“Vergiss nicht, dich ganz normal zu verhalten”, sagte Sam, nachdem er und Lauren abgestiegen waren. “Wir machen Urlaub und wollen hier ein paar Tage Ski fahren.” Er nahm den Matchbeutel vom Gepäckträger, hängte ihn sich über die Schulter und legte ihr den Arm um die Taille.
Die Anlage orientierte sich am Stil eines Alpendorfs. Als sie den weitläufigen Platz erreichten, mischten sie sich unter die anderen Skifahrer, die von ihrem Tag auf der Piste zurückkehrten.
“Und jetzt?” fragte Lauren.
Als sie an einem Restaurant vorbeigingen, bemerkte Sam ihren sehnsüchtigen Blick, den sie den Gästen zuwarf, die dort saßen. Seit dem Frühstück hatten sie nichts mehr gegessen, außerdem waren ihr Vorräte zusammen mit dem Rucksack auf dem anderen Schneemobil im Schuppen zurückgeblieben.
“Ich muss ein paar Anrufe erledigen.”
Seine Bemerkung setzte ihrem verträumten Blick ein abruptes Ende. “Wen willst du anrufen? Du hast doch gesagt, dass wir niemandem trauen können.”
“Ich will ja auch niemanden in Denver anrufen, sondern Ed Stanhope. Ich habe dir von ihm erzählt, erinnerst du dich? Wenn einer weiß, was hier los ist, dann er.”
“Und ihm kannst du vertrauen?”
Sam sah ihren zweifelnden Gesichtsausdruck. Er konnte es ihr nicht verdenken, nach allem, was sie durchgemacht hatte.
“Ja. Außerdem haben wir keine andere Wahl. Wir brauchen Hilfe.”
Lauren biss sich auf die Lippe und sah sich nervös auf dem weitläufigen Hof um. “Ich nehme an, dass du Recht hast. Und wen rufst du noch an?”
“Einen Verwandten. Ich werde ihn bitten, uns hier abzuholen.”
“Deinen Vater?”
Sam biss die Zähne zusammen. Er begegnete ihrem hoffnungslosen Blick mit einem nichts sagenden Ausdruck und einem noch beiläufigeren Tonfall. “Nein. Meinen Onkel. Und meine Tante.”
“Aha. Leben sie hier in der Nähe?”
“Eigentlich nicht. Sie leben etwa fünfzehn Kilometer von Monticello in Utah entfernt. Ihre Ranch liegt gleich neben der meines Vaters. Aber wenn ich meinen Onkel darum bitte, kommt er her.”
Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie ihn fragen wollte, warum er nicht seinen Vater anrief, sich jedoch nicht so ganz traute. Es war im Grunde gleichgültig. Er wollte nicht mit ihr streiten, und er war auch nicht in der Stimmung, über das schlechte Verhältnis zu seinem Vater zu reden.
Ein Wachmann kam auf sie zu geschlendert, der aufmerksam die Geschäfte und die Straße beobachtete. Sam blieb mit Lauren vor einem Schaufenster stehen und tat so, als würden sie sich die Auslage ansehen, bis der Mann an ihnen vorübergegangen war.
“Was sollte das?” flüsterte Lauren.
“Nur zur Vorsicht. Je weniger Leute uns bewusst wahrnehmen, umso besser.” Er suchte die Taschen seines Parkas ab. “Ich wünschte, ich hätte mein Mobiltelefon. Ich brauche wohl nicht anzunehmen, dass du eine Telefonkarte griffbereit hast?”
“Nein, tut mir Leid.”
“Fantastisch.” Er überlegte einen Moment, dann packte er sie am Ellbogen und zog sie mit sich zum Hotel. “Wir übernachten hier, dann kann ich von unserem Zimmer aus in Ruhe telefonieren. Ich frage meinen Onkel, ob er oder meine Tante uns morgen früh abholen kann. Wir können uns das Essen aufs Zimmer bringen lassen und den Menschen im Restaurant aus dem Weg gehen. Außerdem können wir uns ein wenig ausruhen.”
“Aber was ist, wenn diese Leute uns hier einholen? Was ist, wenn sie nachfragen und herausfinden, dass wir hier übernachten?”
“Nur die Ruhe. Ich werde mich als Roberto Montera ausgeben und mit Akzent sprechen. Mit meiner Hautfarbe gehe ich für einen Hispano durch. Ich habe eine Kreditkarte auf diesen Namen, von der niemand etwas weiß. Man kann schließlich nie wissen, wann man einmal einen Decknamen gebrauchen kann. Also vergiss nicht, du bist Señora Montera.”
In der Hotellobby blieb Lauren mit dem Rücken zum Raum an einem Drehständer mit Prospekten stehen, während Sam die Anmeldung ausfüllte. Nach außen hin wirkte sie ruhig, aber er wusste, dass sie unter größter Anspannung stand. Er hoffte nur, dass niemand bemerkte, wie sehr ihre Hände
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