Zeugin am Abgrund
leicht sein. Hast du da, wo du gerade bist, einen Fernseher?”
“Ja, wieso?” wollte Sam wissen.
“Schalt einen Nachrichtensender ein.”
Irritiert nahm Sam die Fernbedienung und schaltete das Gerät ein. Das erste Bild, das er zu sehen bekam, waren zwei Fotos -- er und Lauren. Ihr Bild stammte offensichtlich aus ihrer Zeit, als sie noch Konzerte gab. In ihrem eleganten Abendkleid wirkte sie ausgeglichen und vornehm, sogar ein wenig reserviert. Und sie sah unbeschreiblich schön aus.
″Ich wiederhole: Ab sofort wird landesweit nach Special Agent Sam Rawlins vom FBI sowie nach Ms. Lauren Brownley gesucht, die Zeugin ist in einem Verfahren gegen Carlo Giovessi, dem vorgeworfen wird, eine führende Rolle in der organisierten Kriminalität zu spielen”, verkündete der Nachrichtensprecher ernst.
“Wie das FBI erklärt, liegen Beweise dafür vor, dass Agent Rawlins seit Jahren Bestechungsgelder von Carlo Giovessi erhalten hat, damit er den Gangsterboss von bevorstehenden Einsätzen in Kenntnis setzte oder Beweise verschwinden ließ. Man nimmt an, dass Agent Rawlins mit Ms. Brownley, einer Geliebten von Mr. Giovessi, auf der Flucht ist, damit sie im anstehenden Verfahren nicht gegen ihn aussagen muss.”
“Was?” rief Lauren, die die Meldung im Bad gehört hatte. Sie kam ins Schlafzimmer gerannt und starrte fassungslos auf den Fernseher.
“Agent Rawlins ist bewaffnet und gilt als gefährlich”, fuhr der Sprecher fort. “Wenn Sie einen der Gesuchten sehen, melden Sie sich bitte umgehend beim nächsten FBI-Büro oder bei einer Polizeiwache in Ihrer Nähe.”
Sam fluchte lautstark, dann sprach er in den Hörer: “Das ist komplett gelogen, Ed. Und der SAC weiß das. Ich versuche seit Monaten, den oder die Überläufer im Büro in Denver zu enttarnen. Harvey wollte das so. Er und alle anderen im Büro wussten, dass ich ganz nah am Schuldigen dran war. Ich persönlich bin überzeugt, dass er mir deswegen den Auftrag gegeben hat, um Lau… Ms. Brownley zu beschützen.”
“Wenn du es genau wissen willst”, erwiderte Ed. “Harvey hat gesagt, dass er dich für sauber gehalten hat, aber einige seiner Agenten hätten ihn vom Gegenteil überzeugt.”
“Na klar.”
“Die gute Nachricht ist die, dass Giovessi festgenommen und wegen einer ganzen Litanei von Verbrechen angeklagt worden ist”, fuhr Ed fort. “Er ist inhaftiert und kann auch nicht gegen Kaution raus. Verfahrensbeginn ist der 20. März. Die Staatsanwälte sitzen in den Startlöchern, aber ohne die Aussage von Ms. Brownley können sie Giovessi den Mord nicht nachweisen. Die Leiche von Frank Pappano ist noch immer nicht aufgetaucht.”
“Und was ist mit dem Drogenhandel?”
“Giovessis schmieriger Anwalt hat ihn schon zuvor da rausgeholt. Harvey und die anderen bedrängen die Staatsanwälte, alle Anklagepunkte fallen zu lassen.”
“Verdammt.”
“Sie haben einen guten Grund. Die beiden Klagen hängen zusammen, und beide hängen von Ms. Brownleys Aussage ab. Wenn Giovessi freigesprochen wird und die Beweise erst später auftauchen, kann er nicht noch einmal angeklagt werden.”
“Hör zu, Ms. Brownley wird aussagen”, gab Sam zurück. “Mein Auftrag lautet, für ihre Sicherheit zu sorgen, bis das Verfahren beginnt. Und das werde ich auch machen, egal, was dafür erforderlich ist.”
Am anderen Ende der Leitung wurde es einen Moment lang ruhig. “Habe ich dein Wort?” fragte Ed schließlich.
“Ja. Sorge du nur dafür, dass das Verfahren stattfindet, und ich bringe die Zeugin hin.”
Wieder folgte Schweigen. Sam konnte sich gut vorstellen, wie Ed dasaß und nachdachte. “Also gut. Wir machen einen Deal. Ich habe ja immer noch ein bisschen Einfluss. Ich werde ein paar Leute anrufen, während du für die Sicherheit der Zeugin sorgst und am 20. März im Gerichtssaal in Denver auftauchst, damit wir den alten Gauner dingfest machen können.”
“Du kannst dich auf mich verlassen.”
“Und Sam … sei vorsichtig. Nachdem dein Bild im Fernsehen war, wird dich garantiert jemand erkennen. An deiner Stelle würde ich für die nächsten Monate untertauchen.”
“Stimmt.”
Sam hatte kaum den Hörer aufgelegt, da sprang er vom Bett auf und begann ihre Sachen in den Matchbeutel zu stopfen. “Zieh dich an, wir verschwinden von hier.”
“Was? Jetzt?” beklagte sich Lauren. “Aber wir sind doch gerade erst angekommen.”
“Wir sind hier nicht sicher. Ist dir aufgefallen, wie nervös der Kellner war, als er uns das Essen aufs
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