Zieh dich aus, du alte Hippe
Dann steht der Kommissar auf und geht ans Fenster. Er sieht, wie zwei Menschen in einer Entfernung von etwa 50 Meter hintereinander hergehen. Vorne ist eine Frau, dahinter ein Mann. Es ist ein Unbekannter! Er verschnelligt seinen Schritt. Die Frau vorne will wegrennen, da hat der Mann sie fast eingeholt. Der Kommissar sieht alles mit verschwimmenden Augen. Träumt er oder wacht er? Ihm kommt diese Szene bekannt vor. Ja natürlich, jetzt fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Dies hier ist kein Spiel! Es ist ein Mord! Der Kommissar fliegt in seine Jacke, reißt seine Knarre aus dem Tisch, steckt sie in die Jacke, dann raus aus dem Büro und in den Fahrstuhl, nein, der ist zu langsam, lieber zu Fuß die Treppen runter! Er rutscht aus und fällt hin! Egal! Weiter, weiter! Als er mit rohem Atem aus dem Hauptportal jagt, weiß er nicht, wohin er rennen soll. Er wählt eine Richtung. Dann rennt er hinter dem Mörder und seinem Opfer her. Weißer Atem schlägt ihm ins Gesicht, es ist sein eigener. Er rennt und rennt, fast eine halbe Stunde. Nichts zu sehen. Der Kommissar hält jäh inne und läßt sich auf den Boden sinken vor Lungenpein. Er kann nicht mehr, er sieht Sterne. Mit gezogener Pistole lauert er auf dem Boden, ob nicht doch jemand kommt. Die Stadt ist menschenleer. Nur ein paar Regentropfen sind jetzt zu hören, vereinzelt. Es will nicht so richtig anfangen zu regnen.
Da! Aus der Stille ein unglaublicher Schrei! Das ist der Todesschrei der Frau, die von dem Täter gerade umgebracht wird, weil sie sich wehrt. Wie in einem Traum sieht der Täter sein eigenes fürchterliches Tun, er fühlt sich jetzt wohler. Die Frau nicht, sie ist schnell in Ohnmacht gefallen, bevor sie ganz stirbt. Der Mörder hat eine Brille auf. Sie ist voller Blutspritzer, keinem fällt das auf in der Straßenbahn, mit der der Mann nach Hause fährt. Zu Hause sagt seine Frau zu ihm: »Du hast da was auf der Brille!« Dann erst wischt er sich die Brille ab. Er steht im Badezimmer vor dem Spiegel und sagt zu sich selbst: »Du gemeiner Mörder! Du bist böse!« Das Spiegelbild lächelt und sagt dann: »Natürlich bin ich böse, weil sie schlecht kocht und ich nichts zu lachen habe.« Der Mann, der in den Spiegel guckt: »Ach so, ja dann ist das aber auch gar kein großes Problem!« »Neeeeeeeeee!« Zufrieden wäscht sich der Kerl die Hände. Es ist soweit. Der Schuh mit dem abgeschnittenen Bein soll fotografiert werden. Zwei Männer betreten das Polizeipräsidium, sie haben Lampen dabei und ein paar Kabel. Einer trägt einen silbernen Koffer, da sind wohl die Fotoapparate drin. »Hier geht's lang.« Der Pförtner schickt die beiden in die Richtung, wo Kommissar Schneider sein Büro hat. Sie kommen mit trockenen Mündern da an. Der Kommissar hat schon alles vorbereitet, auf dem Schreibtisch ist ein weißes Laken ausgebreitet, worauf der Schuh mit dem abgeschnittenen Bein steht, das jetzt aber etwas riecht. Es ist ja schon zwei Tage alt. Kommissar Schneider hat einen Mundschutz um, er sieht gespenstisch aus. Unter seinem Kinn hat er eine Taschenlampe angebracht, sie leuchtet ihm ins Gesicht hoch. Er will die beiden nur erschrecken. Die kümmern sich aber nicht darum. »Das weiße Tuch ist nicht gut, es gibt zuviel Kontrast. Haben Sie ein blaues?« Der eine ist unzufrieden. »Nein, machen Sie, wozu sie bezahlt werden. Ich habe wenig Zeit.« Der Kommissar ist ungeduldig. Die Männer nehmen das Tuch weg und fotografieren das Bein ohne Unterlage. Sie dekorieren das Bild mit dem bronzenen Aschenbecher, der seit zwanzig Jahren nicht mehr geleert wurde, so jedenfalls sieht er aus. Der Kommissar ist Kettenraucher, er spuckt auch schon morgens grau. »Riiiiingggg!« Das schreiende Telefon sorgt für Verwirrung. Schneider nimmt den Hörer ab. Aus dem Kabel scheppert eine durchdringende, unsympathische Stimme: »Guten Morgen, Herr Kommissar! Möchten Sie wissen, wer die Frauen umbringt? Dann schauen Sie in den Spiegel.« Und schon hat er eingehängt. Der Kommissar rappelt an dem Hörer, weg. Die Fotografen gehen gerade. Schneider überlegt nicht lange, er geht aufs Klo, um in den Spiegel zu gucken. Zuerst bemerkt er nichts. Doch es muß etwas mit dem Telefonanruf auf sich haben. Er dreht und wendet sich nach allen Seiten. Besieht sich mal von links, dann von rechts, sogar von hinten. Als er so da steht und sich den Hals verrenkt, sieht er zufällig auf der anderen, dem Spiegel entgegengesetzten Wand, ein paar haarfeine Striche im Putz, wahrscheinlich von
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