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Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition)

Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition)

Titel: Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Vanier , Philippe Pozzo di Borgo , de Laurent Cherisey
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Parkverbotsschild, weil dieser es missachtet hatte. Später gerät Driss zum zweiten Mal in eine ähnliche Situation, doch diesmal benimmt er sich anders. Es ist ihm unangenehm, dass ihm das im Beisein seines kleinen Bruders widerfährt, der ihn aggressiver kannte und nun unfreiwillig zum Zeugen seiner tiefgreifenden Veränderung wird.
     
    Lachen, wie es der Film Ziemlich beste Freunde bei den Zuschauern auslöst, ist das beste Mittel, um mit anderen Augen sehen zu lernen.
    Unter den vielen Zuschriften, die Philippe Pozzo di Borgo nach dem Erscheinen des Films bekam, befanden sich auch Briefe von Menschen, die ihr eigenes Verhalten als Reaktion auf die Geschichte des reichen behinderten Mannes und seines aus einem schwierigen Milieu stammenden Pflegers leicht verändert hatten, zum Beispiel diese Frau, die unumwunden zugibt:
     
Wenn ich im Bus zwei oder drei in ihre Kapuze eingemummelte junge Schwarze sah, setzte ich mich bisher am liebsten möglichst weit weg. Aber komischerweise habe ich weniger Angst vor ihnen, seit ich den Film gesehen habe. Driss hat mich nicht nur zum Lachen gebracht, sondern mich auch mit seiner zutiefst menschlichen Haltung einem Tetraplegiker gegenüber berührt. Die Geschichte hat meine Sicht der Dinge beeinflusst, weil der echte Driss, der in Wirklichkeit Abdel Sellou heißt, diesem behinderten Menschen zweifellos geholfen hat. Seither betrachte ich die jungen Leute mit anderen Augen. Ich sage mir, dass sie nicht unbedingt nur potenzielle Krawallmacher sind. Wie Driss könnten auch sie auf die eine oder andere Weise einen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten.
     
    Mit ihrer Haltung gehört diese Frau zu den Menschen, die Abdel Sellou in seiner Autobiographie beschreibt, nämlich zur »großen Masse der Blinden, die nichts gesehen hatten, bevor sie nicht Ziemlich beste Freunde gesehen haben«. 18 Die Begegnung mit Philippe aber, so gibt er bescheiden zu, habe auch ihm die Augen geöffnet und seinen Blick auf die Welt der Wohlhabenden verändert, die er zuvor nur mit Hass betrachtet hatte.
    Für ihn lautet die Lehre aus der Geschichte seiner Beziehung zu Philippe Pozzo di Borgo, »dass die Gewalt über seinen Körper zu verlieren nicht automatisch bedeutet, dass man sein Leben verliert. Dass Behinderte keine Tiere sind, die man anstarren kann, ohne rot zu werden, und dass es auch keinen Grund gibt, ihren Blicken auszuweichen.« 19
    Es ist wiederum dem Lachen zu verdanken, dass Juliette, eine Pflegerin, die seit einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzende Liliane mit anderen Augen sehen lernte. Als Helferin bei Simon de Cyrène kümmerte sie sich ohne große Begeisterung um die behinderte Frau. Liliane war schwierig, und Juliette konnte ihre Sticheleien nur schwer ertragen. Die beiden Frauen mochten sich nicht besonders. Eines Tages kam Juliette zu spät zur Morgentoilette. Die giftigen Bemerkungen, die Liliane ihr entgegenschleuderte, trafen sie zutiefst, und sie fing vor Erschöpfung und Gereiztheit an zu weinen. Zu ihrer großen Überraschung brach daraufhin auch Liliane in Tränen aus. Die beiden schluchzten im Chor, bis sie sich auf einmal in die Augen schauten und ihnen aufging, welchen Anblick sie da boten. Ihr Weinen schlug sofort in einen Lachanfall um.
    Zusammen zu lachen schlägt eine Brücke zwischen den Menschen und offenbart eine Verbindung, die alle Unterschiede überwindet.
    Diese Erfahrung machte Jean Vanier zu der Zeit, als er die Arche gründete:
     
Ich war lange ein sehr ernster Junge. Meine Ausbildung absolvierte ich an einer Militärakademie, und gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, in einer politisch und menschlich schwierigen Zeit, heuerte ich bei der Marine an. Ich wählte meinen Weg mit Bedacht, wurde ein fleißiger Student und vertiefte mich in die Philosophie, weil ich die Welt verstehen wollte, dann lehrte ich als Dozent. Und mit einem Mal, in der kleinen Arche-Gemeinschaft im Werden, begriff ich, dass man sich in Gesellschaft von geistig behinderten Menschen immer und überall auf alles Mögliche gefasst machen kann. Sie können völlig ungehemmt und mit dem Gemüt eines Kindes auf Situationen reagieren, in denen wir für gewöhnlich streng darauf achten, ernst zu bleiben. Raphaël, der Späße liebte, wollte nicht auf seine Albernheiten verzichten, nur weil ein Inspektor aus Beauvais zur Kontrolle zu uns kam. Beim Mittagessen reichte er ihm mit einer Engelsmiene das Senfglas. Als der Inspektor es aufschraubte, sprangen ihm weiche Gummiwürmer ins Gesicht. Und

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