Zigeuner
einer Bank kreditwürdig schien. Die Leute am Fluss besaßen nichts. Ihre Häuser, die sie ohne Erlaubnis auf staatseigenem Land an der Târnava erbaut hatten, waren zwar von den Behörden geduldet, doch im Grunde illegal. Ohne Besitzurkunde konnten sie daher auch nicht mit einer Hypothek als Sicherheit für ein Darlehn belastet werden.
Vor Jahren hatte der Geldverleiher Parda eine Marktlücke weniger entdeckt als geschaffen. Er kaufte preisgünstig junge Kälber, züchtete und mästete die Tiere und verscherbelte seinen Landsleuten billiges Rindfleisch auf Pump. Den Gestus des Wohltäters ließ er sich mit immer üppigeren Zinsen vergüten. Wenn sich die Opfer der Wucherei hoffnungslos in einem Teufelskreis aus Verschuldung und neuen Krediten verstrickt und einem Spinnennetz der Abhängigkeit verheddert hatten, bot ausgerechnet der Gläubiger einen perfiden Ausweg aus dem Dilemma an. Die Schuldner konnten sich vermeintlich freikaufen, wenn sie in westeuropäischen Innenstädten ihre Verbindlichkeiten abarbeiteten.
Ein halbes Jahr lang hatte Bettelchef Parda Elvira Tudor monatlich 100 Lei, umgerechnet 23 Euro, für Lebensmittel geliehen. Nun wollte er pro Monat 250 Lei zurückhaben. Der Roma-Aktivist Mailat Cornel wusste, dass Parda zudem die Sozialhilfe für Elviras geistig zurückgebliebene Tochter Maria kassierte. Das Mädchen hatte von alldem keine Ahnung. Stolz zeigte Maria mir ihre Behindertenkarte. Wegen ihres neuen Passbildes. Sie sah aus wie fünfzehn, doch der Ausweis verriet, dass sie bereits dreiundzwanzig war. Maria war ein Mensch, äußerlich verwahrlost, ja sogar verwildert, doch ihr freundliches Lächeln offenbarte ihre ungemein sanfte Wesensart. Dreihundertfünfzig Lei, etwa 80 Euro, zahlte der rumänische Staat ihrer Mutter Elvira monatlich an Pflegegeld. Es machte wütend, dass Maria davon kein einziger Lei zugutekam.
Elvira Tudor und ihre Söhne finanzierten Pardas Vorliebe für schnelle BMW -Automobile und den Neubau der Villa unweit der griechisch-katholischen Pfarrkirche. Doch nicht nur sie. »Wer seine Schulden nicht bezahlen kann, dessen Kinder werden nach Europa gekarrt. Das ist normal hier«, meinte Pfarrer Ivan. Dabei achteten die Schlepper darauf, dass die Jungen und Mädchen mindestens vierzehn Jahre alt waren. Mit vierzehn erhielten die Kinder Ausweise, und es gab bei Personenkontrollen kaum Probleme. Wochen zuvor musste Ivans Amtsbruder in Cetatea erleben, wie ein Wucherer seine Kirche dazu benutzte, um den Kindern verschuldeter Eltern ein Gelübde abzunötigen. »Vor Gott und beim Leben von Vater und Mutter mussten sie schwören, dass sie keinen einzigen in Frankreich erbettelten Cent für sich behalten.«
Und warum schützt der rumänische Staat die Leute nicht? »Ein, zwei Mal im Jahr taucht die maskierte Anti-Mafia-Polizei hier auf«, berichteten Gemeindemitglieder. Schwer bewaffnet und in schwarzen Kampfanzügen durchsuchen sie die Häuser der Bettelchefs. »Danach verschwinden die Einheiten wieder, und alles läuft weiter wie gehabt.«
Nicht nur in Cetatea de Baltă, auch in Blaj war es ein offenes Geheimnis, dass manche Roma-Sippen in mafiösen Strukturen organisiert waren. Auf Bestellung besorgten sie alles: Fernseher, Computer, Uhren, Mobiltelefone, Digitalkameras. Doch die redlichen Roma verwahrten sich gegen die organisierten Kriminellen, die alle Vorurteile gegen ihr Volk zu bestätigen schienen. »Wir haben unsere Kinder nicht erzogen, damit sie betteln, stehlen und sich prostituieren«, erboste sich Ionina, die Ehefrau des lungenkranken Rentners Stelian Coseriar. Ihre sieben Kinder hatten die beiden mit siebzehn Enkeln und Urenkeln zu Groß- und Urgroßeltern gemacht. Um keinen Preis wollten Stelian und Ionina, dass ihre Söhne oder Töchter nach Italien oder Frankreich gingen. »Im Ausland werden die jungen Leute ausgebeutet und betrogen. Die Chefs ziehen ihnen alles Geld ab. Für Essen und Übernachtung. Da bleibt nichts übrig.« Das sagte Ionina 2011.
Als ich die Familie ein Frühjahr später besuchte, war Ionina gerade zweiundsechzig geworden und hatte ihre Meinung geändert. Ändern müssen. Schulterzuckend zeigte sie mir ein halbes Dutzend Packungen mit Stelians Tabletten gegen Herzschmerzen, Durchblutungsstörungen und Nierenschwäche. Die magere Rente für die verschleißenden Jahre in der schwarzen Fabrik in Copşa Mică reichte nicht für die teure Medizin. Zweimal schon war Ionina zwischenzeitlich mit Verwandten zum Betteln in Frankreich gewesen. »In
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