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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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die Tränen in die Augen trieb. Den Qualm spuckten die dörflichen Schornsteine aus. Um genau zu sein, er quoll aus den Kaminen der Zigeuner. Aus einem schlichten Grund: »Die Roma können die steigenden Preise für das Heizungsgas nicht bezahlen. Also stochen sie ihre maroden Kachelöfen mit Holz«, erklärte der Pfarrer der griechisch-katholischen Gemeinde Ivan Sovin-Ioan. Weil die Bäume zu spät geschlagen wurden und das Kaminholz nicht durchgetrocknet war, verpestete der Rauch des schwelenden Holzfeuers die Luft.
    Cetatea de Baltă, das siebenbürgische Kokelburg, zählte 2300 Einwohner. Sechshundert von ihnen waren Roma. Die Hälfte von ihnen lebte, halbwegs integriert im Oberdorf, rund um die drei Kirchen des Ortes, die von Christen des orthodoxen, des reformierten und katholischen Glaubens besucht wurden. Die andere Hälfte der Roma hauste in erbärmlichen Hütten unten an der Târnava, wo der Fluss im Frühjahr über die Ufer stieg und eine hässliche Spur aus Müll und Schlamm hinterließ und wo Fetzen von Plastiktüten wie obszöne Gebetsfahnen in Bäumen und Sträuchern hingen.
    Oben im Dorf zählte ich drei Kleinbusse, alle von derselben Marke und demselben Typ: weiße Mercedes Vito, vom Schmutz der Straßen verdreckt, doch alle neueren Baujahrs. Die Fahrer kurvten umher, parkten mal hier, mal dort, kurbelten die Scheiben herunter, stiegen aus, redeten, rauchten. Manchmal hielten sie für wenige Minuten an, dann wieder für eine Stunde. Dann waren sie wieder eine Weile verschwunden. Laut Kennzeichen waren die Transporter in Arad zugelassen, einer Stadt unweit der Grenze nach Ungarn, 280 Kilometer entfernt. Die Fahrer arbeiteten als Schlepper. Sie tingelten über Land, um Fahrgäste für ihre Touren nach Frankreich zu rekrutieren. Neun Sitzplätze hatte jeder Sprinterbus. Feste Abfahrtszeiten gab es nicht. Die Tour ging los, sobald alle Plätze belegt waren. »Optzeki«, sagte einer, koste die Hinfahrt. Achtzig Euro. »Nici o problemă«, für den, der nicht zahlen konnte. Kein Problem! Man wurde trotzdem mitgenommen. Für 150 Euro. Die konnte der Schuldner in Frankreich abstottern, durch Arbeit, Betteln oder was auch immer Bares brachte.
    Vier lokale Bettelchefs hatten es im Oberdorf von Kokelburg zu erklecklichem Wohlstand gebracht, erzählte der ehemalige Roma-Gemeinderat Mailat Cornel. Er begleitete mich zu den Zigeunern am Fluss und fragte unterwegs an, ob ich ihm Arbeit in Deutschland besorgen könne. In der Landwirtschaft. Bislang fuhr er mit seiner Frau im Frühsommer ins süddeutsche Ravensburg, wo er nach eigenen Angaben als Erntehelfer am Tag zwischen 30 und 40 Euro mit dem Pflücken von Erdbeeren verdiente.
    Tatsächlich fiel auf, dass unten in der Fluss-Siedlung ausschließlich Frauen und Kinder zu sehen waren. Die Männer weilten in Frankreich. Wenn sie nach zwei, drei Monaten zurückkehrten, hatten sie 600, maximal 800 Euro erwirtschaftet. Dann blieben sie einige Wochen bei ihren Familien, bevor sie wieder nach Fankreich verschwanden.
    Nun war der Winter hereingebrochen, und die Frauen warteten auf die Rückkehr ihrer Ehemänner und Söhne. Frauen wie Elvira Tudor, die nicht wusste, ob sie zweiundvierzig oder schon vierundvierzig Jahre alt war. Von all den notdürftigen Behausungen am Fluss lebte sie mit ihren neun Kindern in der armseligsten. Das Geld reichte nicht einmal für eine der winzigen, nackten Ziegelkaten, die sich wie Puppenhäuser in der Landschaft verloren. Die Familie fand Obdach in einem Verschlag aus Astwerk und Lumpen. Selbst die unter den Roma obligatorische Satellitenschüssel fehlte. Zwar lieferte ein dürres Plastikkabel, angeklemmt an eine Überlandleitung, Strom in Elviras Unterschlupf, doch es gab keine elektrischen Geräte, die den Strom hätten verbrauchen können.
    Im September waren die zwei ältesten Söhne Elviras, achtzehn und einundzwanzig Jahre alt, zum Betteln nach Frankreich gefahren. Dreieinhalb Monate waren seitdem verstrichen, ohne dass ihre Mutter eine Nachricht, geschweige denn eine Geldlieferung erhalten hätte. »Nach Weihnachten«, so hoffte Elvira Tudor, »sind die beiden bestimmt wieder hier.« Nur verdienten Aurel und Dorin in Frankreich nicht die Euro für ein menschenwürdiges Heim. Sie bettelten, wie jeder in der Siedlung wusste, um den Wohlstand eines berüchtigten ortsansässigen Kredithais zu mehren. Der Mann wurde Parda gerufen. Er verdankte seinen Reichtum der Skrupellosigkeit, mit der er den Umstand nutzte, dass niemand von den Tzigani

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