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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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wurden feucht. »Bueno«, sagte er. »Hätte er diese Scheißdrogen gelassen und bloß Whiskey getrunken, du kannst mir glauben, Camarón würde heute Nacht hier stehen und singen.« Dann orderte Natalio bei Marcelo eine weitere Runde Cruzcampos.
    Marcelo war Gadscho. Er hoffte, am Montag leere Flaschen und volle Kassen zu haben. Marcelo mochte die Zigeuner. Nur im letzten Jahr, erzählte er, mochte er sie nicht. Zumindest einige von ihnen. Da gab es genau vor seiner Bude nachts eine Massenprügelei mit dreißig Leuten. Einige der Streithähne flogen über den Tresen, und er hatte reichlich Scherben aufzufegen. Und als irgendjemand sogar mit einem Gewehr in der Gegend rumballerte, so Marcelo mit dem Stolz des Überlebenden, »da kriegten selbst die Polizisten Angst und rannten weg«.
    Und warum der ganze Aufruhr?
    »Frauen, Liebe, Eifersucht, was weiß ich. Der Suff macht den Menschen manchmal bekloppt im Kopf«, erklärte Natalio den Tumult. Aber viel schlimmer als die Zigeuner seien die spanischen Katholiken, die aus den Dörfern in Extremadura nach Fregenal pilgern, besänftigte Schankwirt Marcelo. »Wenn die sich abfüllen, dann geht es hier richtig zur Sache.« Dabei deutete er auf eine Badewanne voll mit Eiswasser zum Kaltstellen der Getränke. »Das kühlt die Gemüter«, grinste er und stellte gratis noch eine Batterie Cruzcampos auf die Theke. Sodann bekreuzigte er sich und bat inständig, man möge ihm dieses Mal nicht wieder die Bierbude demolieren.
    Das Stoßgebet hatte gewirkt. Keinen einzigen Hitzkopf musste Marcelo in der Nacht mit einer eisigen Dusche abkühlen. Es war die Nacht, in der Lucas Prado seine wunden Füße und blutigen Knie vergaß. Die Nacht der Fiesta. Die Nacht der Leidenschaft. Als die Gitarren zum Flamenco geschlagen wurden, die Gitanos und Gitanas sich in eine bessere Welt hineintanzten, verstand selbst der letzte Gadscho, was Natalio meinte, als er sagte: »Camarón ist bei uns, auch wenn er nicht mehr lebt.« Mit einem Mal verschmolzen Traum und Realität zur Gegenwart schier grenzenloser Möglichkeiten. Und in den wunderbaren Momenten des Glücks, so wollte es scheinen, schwanden auch die Unterschiede zwischen Gadscho und Rom.
    Die Uhr zeigte weit nach Mitternacht, und Natalios Freunde schleppten noch eine Kiste Cruzcampo an. Miguel fiel mir um den Hals und nahm mich beiseite: »Mein Freund, wir kommen gut miteinander klar. Ich bin okay. Du bist okay. Lass uns Geschäfte machen. Ich habe Kontakte, beste Kontakte nach Tunesien. Dort liegt eine Lastwagenladung, amerikanische Bluejeans, alles Original made in Marokko. Spottbillig. Das Zeug wartet auf den Export. Am besten nach Deutschland. Düsseldorf, ich sag dir, Düsseldorf ist gut. Da wohnen Leute mit Geld. Versteh, mein Freund. Die Klamotten warten. Sie warten auf uns. Kannst du einen Lastwagen organisieren und hier runterbringen?«
    »Klaro, Miguel, kein Problem. Ich bringe dir einen Dreißigtonner. Wir werden die Dinger in Deutschland verscherbeln. Wir werden Geld machen.«
    »Sei leise, zu viele Ohren«, raunte Miguel mir zu. »Über Portugal karren wir den Kram nach Deutschland und verhökern die Klamotten zu Preisen, dass wir stinkreich werden. Ich garantiere dir, wir werden unglaubliches Business machen. Wir werden Millionäre. Im Geld werden wir schwimmen.«
    Ein fester Handschlag. Eine innige Umarmung. Unsere Gesichter leuchteten. Der Plan stand. Morgen würden wir die Details besprechen. Zuvor noch einen kleinen Beefeater Gin und noch ein letztes Cruzcampo, und vielleicht noch ein allerletztes hinterher. Solange es Nacht war und der Morgen noch fern. Doch er würde kommen. Ganz gewiss.
    Er meldete sich mit hämmerndem Kopfschmerz, in einem Hotel, irgendwo in der Provinz Badajoz. Die Uhr zeigte nach zwölf Uhr mittags. Fotografenkollege Asier übergab sich von viel zu vielen Cruzcampos und blieb im Bett. Mit José fuhr ich nach Fregenal. Es war Sonntag und der Platz, wo eben noch die Wohnwagen der Zigeuner standen, leerte sich zusehends. Natalio stieg in sein Auto, winkte und fasste sich müde an den Schädel. Ich fragte nach Miguel. »Dein Kumpel«, sagte Natalio, »ist schon vor einer Stunde mit seiner Familie abgereist. Mach’s gut. Und komm wieder. Vielleicht im nächsten Jahr.« Wir ahnten, dass es kein nächstes Jahr geben würde.
    Die letzten Wohnwagen verließen den Ort. Die Madonna der Immerwährenden Gnade in ihrem prachtvollen Kleid blieb allein zurück auf ihrem Podest in ihrer Kirche. Wir machten uns auf

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