Zigeuner
dann verspreche ich dir, dass ich an dich glaube.«
Selbstredend, dass Merdzan am Ende in Unterhosen nach Hause zieht und die abgebrühten Gangster um eine Goldkette reicher sein werden.
Als ich Mitte der neunziger Jahre mit meinen Fotografenkollegen José und Asier quer durch Spanien von Bilbao zur Fiesta der Gitanos nach Fregenal fuhr, hatte ich das Buch Verdammter Zigeuner des kanadischen Roma-Autors und Bürgerrechtlers Ronald Lee im Gepäck. Im Vorwort des 1971 erschienenen autobiografischen Romans schreibt Lee: »In römisch-katholischen Ländern sind wir fromme Katholiken, in den arabischen fanatische Moslems, in Spanien eifrige Anhänger des jeweiligen Regimes, und in Russland schwören wir auf das kommunistische Ideal.« Natürlich spielt Lee hier mit plakativen Klischees. Er weiß zu genau, dass die Roma weder als glühende Verfechter einer politischen Ideologie taugen noch als fundamentalistische religiöse Eiferer. Ronald Lee sagt etwas anderes: dass sich die wahre zigane Identität hinter einer anpassungsschlauen Fassade verbirgt und dass ein vordergründiger Opportunismus nichts anderes ist als eine jahrhundertealte Strategie des Überlebens. »Zigeuner wehren sich nie gegen eine gesetzesmäßige Autorität. Sie erklären sich einfach bereit zu tun, was man ihnen sagt, erkennen die Überlegenheit der stärkeren Partei scheinbar an und machen dann alles so weiter, wie sie es immer getan haben.«
In Fregenal allerdings bahnten sich Veränderungen an, einschneidend und tiefgreifend. Lees Annahme, in katholischen Ländern würden sich die Angehörigen seines Volkes anstandslos zu braven Katholiken bekennen, hatte in Spanien spätestens seit den frühen neunziger Jahren ihr Fundament verloren. »Aleluyas en calé«, schrieb die Tageszeitung El País über das Phänomen, dass Tausende Kalé der römisch-katholischen Kirche den Rücken kehrten und sich den evangelikalen Sekten, den »Hallelujas«, zuwandten. Ausgehend von Madrid traf der christliche Erweckungsruf der pfingstkirchlichen Missionare vor allem der Ecclesia de Philadelphia in den spanischen Roma-Kommunitäten auf offene Ohren. Bis das Echo schließlich auch in Fregenal zu hören und zu spüren war.
Während der nächtlichen Autofahrt von Bilbao nach Extremadura hatten wir uns auf die dreitägige Fiesta eingestimmt. José schob CD s des virtuosen Gitarristen Vicente Amigo in den Rekorder, und wir berauschten uns an dem leidenschaftlichen Gesang Camarón de la Islas. »Soy gitano« – »Ich bin Zigeuner«, sang Camarón mit Trotz und Stolz und Wehmut. Niemand vor und niemand nach ihm hat dem Lebensgefühl der Gitanos eine solch ergreifende Stimme gegeben wie »die Muschel der Insel«, die spanische Flamenco-Legende schlechthin.
»Dunkel, schwarz und tief waren seine Lieder«, schrieb El País in einem Nachruf, »entflammend mit ihrer Inbrunst, so dass man eine Gänsehaut bekam und einem die Haare zu Berge standen«. Unsäglich traurig klangen seine Wiegengesänge, Lieder von sterbenden Müttern und toten Vätern, vom verzweifelten Dasein hinter Gefängnismauern, von den düsteren Vorboten des Todes. Wenn er den Soleá sang, flossen die Tränen, beim Buleria tanzten die Herzen vor Freude. »Solange mein kleines Herz kocht, werde ich den Feind überwinden«, klang es noch kämpferisch in einem seiner letzten Lieder. Doch der Feind war stärker. Camarón holte das »grande caballo«, gegen das er so oft ansang, das große Pferd, so die schönfärbende spanische Umschreibung für Heroin. 1992 starb Camarón krebskrank an den Folgen seiner Leidenschaft und seiner Drogensucht.
Wir erreichten Fregenal am Freitagmittag. Viele Gitanos hatten bereits die Stellplätze eingenommen, aber es waren, wie man uns versicherte, längst nicht so viele Wohnwagen wie in den Jahren zuvor. Die Zeiten, als 20 000 Zigeuner die herbstliche Wallfahrt zu einem kollektiven Festival aus Büßerschmerz und Lebenslust machten, neigten sich dem Ende zu.
Die Patriarcas und die verantwortlichen Responsables hatten Wallfahrt und Fiesta unter das bereits erwähnte Motto gestellt »Somos iguales, somos diferentes«. Wir sind gleich, wir sind anders. Mir gefiel dieser Gedanke. Er atmete ziganes Selbstbewusstsein und ein Gespür für die menschliche Würde. Er erlaubte, einander zu begegnen, mit einem Blick, der wohlwollend ist, aber nicht blauäugig; der urteilt, aber nicht richtet. Er lebte von dem Wissen, dass wir als Menschen gleich waren, ohne die Unterschiede von Gadsche und
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