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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Auslese vornahm, die später kaum rückgängig zu machen war.
    Szilveszter Póczik warnte allerdings, die schulische Segregation von Roma-Kindern einseitig einem Rassismus der Gesellschaft anzulasten. »Kinder, die extrem vernachlässigt werden, die keinen Sinn für Reinlichkeit und saubere Kleidung besitzen, die noch nie einen Schreibstift in der Hand hatten und das Lerntempo nicht halten können, weil ihnen grundlegende kommunikative Fähigkeiten fehlen, bereiten den Pädagogen massive Probleme. Lehrer an den normalen Schulen sind auf den Umgang mit ihnen nicht vorbereitet.« Als Lösung wählte man daher häufig den Weg des geringsten Widerstandes. Man schob die Zigeunerkinder in Sonderschulen ab. Damit, so Póczik, »war ihre gesellschaftliche Karriere mit der Einschulung praktisch beendet«.
    Um den Tziganikindern bessere Startchancen zu eröffnen, initiierte die Caritas der Diözese Blaj mit »O viata mai curata« eine Kampagne für »ein sauberes Leben«. Viele Jungen und Mädchen kennen weder Dusche noch Seife und haben noch nie eine Zahnbürste benutzt. »Am Anfang«, erzählt der Caritas-Direktor Nicolae Anuşcă, »haben die Kinder die Zahnpasta gekaut wie Kaugummi.« Vordergründig geht es der Caritas um das Einüben von Hygienemaßnahmen. Das eigentliche Ziel indes ist eine Kultur der Achtsamkeit, um das Gespür der Menschen für ihren Wert und ihre Würde zu stärken. Dazu sind Lernprozesse nötig, auch bei den kirchlichen Mitarbeitern. So hat die Caritas mit ihren Kleiderkammern zwar ungezählten Bedürftigen geholfen, andererseits aber auch eine kontraproduktive Versorgungsmentalität gefördert. »Wenn die Kleidung verschmutzt und zerschlissen ist«, so Anuşcă, »wird sie verbrannt oder weggeworfen. Dann stehen die Leute bei uns vor der Tür und verlangen neue Sachen. Diesen Zirkel müssen wir durchbrechen.«
    Die Hoffnung, in seinen Gemeinden kurzfristige Erfolge zu erzielen, hegt Pfarrer Lucian nicht mehr. »Bis alle Tzigani ihre Kinder zur Schule schicken, da rechne ich nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten.« Um den Sinn für Gemeinschaft und die Bereitschaft zur Verantwortung zu fördern, plant Lucian ein Gemeindezentrum. Direkt neben seiner Kirche. Rohbau und Dachstuhl stehen bereits. Lucian träumt davon, dass hier einst musiziert und getanzt wird und Folklorekreise zigane Traditionen am Leben erhalten. Nachhilfegruppen sollen Lerndefizite bei Kinder und Jugendlichen abbauen. Und Räume mit Waschmaschinen, Duschen und Bädern künftig kollektiv genutzt werden können. Von der rechten Seite der Gemeinde in Plopilior, wo man frisches Wasser noch mit Blecheimern aus dem Ziehbrunnen schöpft.
    Veränderungen sind möglich. Das beweisen die Menschen im Roma-Viertel Barbu Liautiarul. Nach fünfzehn mühsamen Jahren trägt Lucians pastorale Arbeit Früchte. In den Gassen türmt sich kein Müll, die Menschen achten einander, und das alte Ehepaar Ionina und Stelian Coseriar freut sich, »dass die jungen Mädchen sich nicht verkaufen«. Zwar gibt es in der Region immer noch zu wenige Arbeitsplätze, doch einige Roma haben Jobs gefunden. Ein halbes Dutzend Unternehmen aus der Baubranche sind in Blaj ansässig. Neunzig Prozent der angestellten Arbeiter sind Tzigani, was man als Indiz wertet, dass die Front der Diskriminierung nicht zwischen Rumänen und Zigeunern verläuft, sondern zwischen denen, die Arbeit suchen und finden, und denen, die sich gar nicht erst aufraffen.
    Weil für Lucian der Ausstieg aus der Abhängigkeit von der Fürsorge der wichtigste Schritt für ein selbstbewusstes Leben ist, wurde er bei der Firma Bosch-Rexroth vorstellig, die am Stadtrand von Blaj eine Niederlassung betreibt. Das deutsche Unternehmen erklärte sich bereit, einen kleinen Arbeitsbereich auszugliedern. Lucian mietete eine Halle an, in der heute einige Roma Metallscharniere und Kugellager samt Montageanleitungen für den Versand verpacken.
    »Die Leute«, sagt Lucian, »wollen arbeiten, für sich und die Zukunft ihrer Kinder. Sie wollen rumänische Staatsbürger sein wie andere auch.« So wie Boby Mezei. Der junge Rom gründete eine Firma, die sich auf den Innenausbau von Häusern spezialisiert hat. Elf Mitarbeiter verputzen Wände, tapezieren Wohnungen, verlegen Elektrokabel und Fliesen. Ein ausgebildeter Arbeiter verdient 600 Euro pro Monat, Handlanger gut die Hälfte. Nicht viel in Westeuropa, aber kein schlechtes Geld in Barbu Liautiarul. »Unsere Leute geben ihren Lohn für die Verbesserung ihrer Wohnungen

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