Zigeuner
werkelte, Licht und Elektrik verlegte, eine Heizung einbaute und nach Feierabend das gemeinsame Bier und den dörflichen Selbstgebrannten genoss.
Wie die Kinder der Rumänen so halfen auch die Zigeunerkinder bei der Instandsetzung der Schule, dass es eine Freude war, ihnen zuzuschauen. Eva rührte Putzmörtel an und weißelte Wände, ihr Bruder Baranca schlug mit Hammer und Meißel etwas überdimensionierte Schlitze für die Stromkabel in die Wände, Clara reichte den Handwerkern das Werkzeug, während die anderen Mädchen mit unermüdlicher Emsigkeit aufräumten und putzten oder einfach nur zuschauten, wie ihre neue Schule Gestalt annahm. Die Stimmung war prächtig, nicht zuletzt dank der quirligen fünfjährigen Buba, die für lächelnde Gesichter sorgte. Mit der neuen Lehrerin Iliana Miku war eine Pädagogin angestellt worden, die ihren Dienst in Wolkendorf nicht als Strafversetzung empfand. Sie wollte den Kindern fortan wieder das Einmaleins und ABC beibringen, begeistert darüber, welche ungenutzten und unbändigen Energien in den Zigeunerkindern schlummerten. Um sie tatsächlich zu wecken, bedurfte es nur noch der Überzeugungsarbeit, dass die Gabors den Wert von Bildung und Erziehung auch erkannten und ihre Kinder regelmäßig zum Unterricht schickten.
Evas herrischem Onkel Varga missfielen der Wissensdurst und die Weltneugier der Mädchen. Im Dorf wurde gemunkelt, er wolle Eva lieber zum Anschaffen nach Bukarest schicken. Varga hatte die unangenehme Art, im Zorn seinen Ledergürtel aus der Hose zu ziehen und auf Eva einzudreschen, wobei er das Mädchen eine Schlampe schimpfte, die viel zu früh nach Männern schaue. Für ihn stellte die Schule keine Bereicherung für das Dorf dar, sondern eine Bedrohung seiner längst hohl gewordenen Autorität. Indem er prügelte, verschaffte er sich Geltung. Kurzfristig zumindest.
Hans ließ sich in seinem Projekt nicht beirren. Nicht von den sieben Tonnen Kleiderspenden, die zum Gutteil auf dem Schäßburger Schwarzmarkt landeten; nicht von den Betrügern, die der Genossenschaft verdorbenes Saatgut andrehten, so dass auf den Feldern statt Zuckerrüben nur Disteln wuchsen; nicht von den allgegenwärtigen, korrupten Aasgeiern in den Behörden, die für jeden banalen Akt ihrer Pflichterfüllung die Hand aufhielten und Schmiergeld kassierten, was sie nebenbei erwähnt bis heute perfektioniert haben; und auch nicht von dem verschlagenen Schäfer des Dorfes, einem Rumänen, der gefeuert wurde, weil er die Zahl der von Wölfen und Bären getöteten Schafe immer in die Höhe trieb, um die überzähligen Tiere schwarz zu verhökern.
Zunächst kam der Motor der Wolkendorfer Genossenschaft nur stotternd in Gang, doch nach einem Jahr lief er überraschend gut. Dreihundert Hektar waren zu bewirtschaften, mit Mais, Kartoffeln, Getreide und Weintrauben. Die Spendengelder reichten, um in Kronstadt zwei robuste und knallorangefarbene Traktoren vom Typ »Universal 651« mit Anhängern sowie Pflüge, Egge und eine Sämaschine anzuschaffen, zudem Kühe zu kaufen und Stallungen zu bauen. Zusammen mit der durchaus entwicklungsfähigen Arbeitskraft der Dörfler ging es aufwärts. Im ersten Jahr schon verbuchte man einen bescheidenen Gewinn, der in das Vieh reinvestiert werden sollte. Und weil der erfolgreiche Start gefeiert werden musste, fieberte das ganze Dorf an einem himmelblauen Maientag einem unvergesslichen Fest entgegen. Ein Tag, an dem ich fotografieren konnte, wie der übermütige Varga Olimpia einen Esel bei den Hufen griff und mit ihm tanzte.
Die Sonne steckte noch hinter den Bergen, da sammelten die Zigeunerkinder bereits Holz für ein Lagerfeuer. Der Sachse Michael Gunnesch schaute auf die Uhr und fragte höflich an, wann denn ungefähr mit dem Servieren des gegrillten Schweinebauchs zu rechnen sei. Paul Lopa unterzog sein stachelbärtiges Gesicht schon morgens um fünf einer ausgiebigen Nassrasur, streifte entgegen jeder Gewohnheit ein frisch gewaschenes Hemd über und stieg in seine italienischen Hosen aus der letzten Caritas-Kleiderlieferung. Einige Frauen rückten mit Putzeimern und Schrubbern in das heruntergekommene Pfarrhaus ein, die Burschen schleppten Tische und Bänke durchs Dorf und kratzten den Rost von den Grillspießen. Derweil harrten die Zigeuner neben dem Bauern Emilian aus, der mit stoischer Ruhe am Tor seines Hofes wartete, in den Händen einen Wetzstein und ein frisch geschärftes Schlachtermesser. Bis die Männer mit der quiekenden Sau kamen. Der
Weitere Kostenlose Bücher