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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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weiß Gott pingeligen Sachsen in Apold die Dachrinnen repariert. Zum Beweis seiner Tatkraft beteiligte sich Gorbi im Dorf einen Nachmittag lang an einer Aufräumaktion. Er fuhr die Schubkarre, als es galt, die Straßengräben zu reinigen, weil ein Besuch des ominösen Hansi angekündigt war.
    Mir schien die Angelegenheit nicht geheuer. Ich war skeptisch, zutiefst misstrauisch. Es kam mir vor, als würde in Wolkendorf wenn nicht gleich der Messias, so doch ein omnipotenter Führer erwartet. Nach König Carol, nach dem Eisernen General Antonescu, nach dem Stalinisten Georghiu-Dej, nach dem Titanen Ceauşescu nun der Hansi. Ich sollte mich irren. Irgendwann im Sommer Zweiundneunzig lernte ich Hans Schnell kennen.
    Er war damals fünfzig Jahre alt und als Geschäftsführer der Gewerkschaft für Öffentliche Dienste in Heidelberg angestellt. Dass er gewillt war, einen solch attraktiven Posten aufzugeben und ein Leben in einer der reizvollsten deutschen Städte gegen eine Existenz in der tiefsten rumänischen Provinz einzutauschen, hatte einen schlichten Grund: Heimweh. Hans Schnell wurde in Wolkendorf geboren. Hier verlebte er seine Kindheit. »Eine wunderbare Zeit«, wie er sich erinnert, Jahre, die jäh abrissen, als er neun war und seine sächsischen Eltern nach Deutschland umsiedelten. Dort erlernte Hans Schnell das solide Maurerhandwerk, wurde Ingenieur, fand seine politische Heimat in der Sozialdemokratie und betrieb neben seinem Schlips- und Kragen-Job als Gewerkschaftsfunktionär nebenbei ein wenig Landwirtschaft im Schwarzwald. Er war Idealist, aber keinesfalls blauäugig, ein Mann mit Visionen, doch mit den Beinen auf dem Boden und mit gesundem Realitätssinn. Kurz und gut: Hans Schnells geplante Rückkehr in das Land seiner Vorfahren entsprang nicht einem nostalgisch verklärten Kindheitsidyll, sondern der handfesten Absicht, dem siechenden Ort seiner Geburt wieder zu neuer Blüte zu verhelfen.
    »Ich ziehe doch nicht nach Rumänien, um so arm zu werden wie die Leute hier.«
    Das war ein Satz, der den Menschen in Wolkendorf gefiel. Wenn der Hansi seine Besuche ankündigte, räumten sie den Müll weg, fegten die Dorfstraße und achteten während seiner Anwesenheit darauf, nur in erträglichen Maßen zu trinken.
    Dem Gewerkschaftler schwebte »eine basisdemokratische und multikulturelle Dorfgemeinschaft« vor, zu einer Zeit, als derlei Begriffe noch unverbraucht klangen und nicht bis zum Überdruss ideologisiert waren. Gemeinsam mit seiner Frau, der Rumänin Lidia Lupsa, träumte Hans Schnell von einem Ort, »in dem einer dem anderen hilft«, ein Ort, in dem zwei Grundsätze unumstößlich sein sollten. »Wer bekommt, der muss auch geben. Wer die Schwächsten, die Zigeuner, aus der Gemeinschaft ausschließen will, ist selber draußen.«
    In der Startphase sollte sich der Aufbau des Dorfes durch Spenden, später durch eigene Leistungen finanzieren, durch eine Genossenschaft in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und im Fremdenverkehr. Dazu hatten Hans und Lidia Netzwerke geknüpft und sich die Unterstützung einflussreicher Personen und Institutionen gesichert. Lidia, die von den grausamen Zuständen in rumänischen Waisenheimen erschüttert war, sah ihre Aufgabe darin, sich um ein Kinderdorf zu kümmern, um Straßen- und Bahnhofskindern ein Zuhause zu bieten. Jungen sollten eine Ausbildung als Handwerker absolvieren, baufällige Bauernkaten renovieren und einen Campingplatz anlegen. Aus dem verwaisten evangelischen Pfarrhaus würde mit Unterstützung der Siebenbürger Landsmannschaften eine Jugendherberge, und das verfallene Kulturhaus würde wieder mit Leben gefüllt. Die Frauen würden tanzen und Theater spielen, und man sah schon, wie die talentierte Eva Gabor mit Gesang und Bauchtanz das Publikum begeisterte. Statt Getreide zu verkaufen, wollte man Brot backen. Statt Vieh an Schlachthöfe zu liefern, lieber eine Metzgerei betreiben. Arbeitsplätze sollte es geben, vielleicht nicht für alle, aber doch für viele. Und wenn Hans den schönen Satz sagte: »Der Zigeuner soll nicht immer nur der Kuhhirte sein«, dann wünschte man ihm von Herzen Glück, Gesundheit und ein langes Leben.
    Unterstützung fand Hans bei der »Kinderhilfe Rumänien« aus Bad Herrenalb. Die Helfer aus dem Schwarzwald sammelten Kleider und Schecks und verbrachten ihren Jahresurlaub in Wolkendorf. Es waren zupackende und fröhliche Typen, eine eingeschworene Truppe, die von morgens bis abends an der Renovierung der verwahrlosten Dorfschule

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