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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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der Einweihung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg gehalten, wo er exakt die historische Sicht des Zentralrats wiedergab, der das Dokumentationszentrum betreibt. Welcher Redenschreiber auch immer dem Präsidenten die Ansprache formuliert haben mochte, sie veranlasste den Kenner der Geschichte des Holocaust Götz Aly später in der Berliner Zeitung zu der Bemerkung, Herzog sei schlecht beraten gewesen, als er vom Manuskript ablas:
    »Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet.«
    Gegen diesen Text gab es Einwände. Von Historikern, von Parlamentariern, von Kulturpolitikern. Der letzte Satz, argwöhnte Götz Aly, treffe auf die europäischen Juden zu, »für die Sinti und Roma stimmt er in einer solchen Allgemeinheit nicht.« Natascha Winter von der Sinti Allianz merkte an, eine Inschrift mit dem Herzog-Zitat missachte jene Nazi-Opfer unter den Zigeunern, die sich weder als Sinti noch als Roma verstünden und schließe »Hunderttausende Opfer« aus verbandspolitischen Egoismen vom Gedenken aus. Die Manouches etwa, die Lalleri oder die Kalé. Aber auch die Jenischen, die zwar keine ethnischen Wurzel in Indien haben, wohl aber von den Nazis »als Zigeuner« verfolgt und umgebracht wurden. Argumentativen Beistand lieferte der renommierte Historiker Eberhard Jäckel:
    »Als die Zigeuner verfolgt wurden, hat niemand sie – außer wenn in den Akten von einzelnen Stämmen die Rede war – Sinti und Roma genannt. Dies ist ein Terminus, der erst seit 1982 durch den Zentralrat in Umlauf gebracht worden ist. Der Begriff ›Zigeuner‹ ist jahrhundertealt, und er ist keineswegs pejorativ. Die Juden haben sich auch nicht umbenannt, weil sie von Antisemiten so bezeichnet wurden.«
    Damit hatte Jäckel an den politischen Grundfesten des Zentralrates gerüttelt. Die Reaktion fiel aus, als habe Jäckel eine Kriegserklärung ausgesprochen. Der Zentralrat stellte fest, die Verwendung des Begriffs »Zigeuner« komme »einer erneuten Stigmatisierung der Opfer gleich«. Romani Rose sprach von einem Skandal, von der »Beleidigung und Demütigung« seines Volkes. Und das im »Land der Täter«. Der dem Zentralrat nahestehende Publizist Michail Krausnick kommentierte Jäckels Insistieren auf dem Begriff »Zigeuner« mit der Forderung: »Auch Historiker sollten fähig sein, hinzuzulernen und sich nicht auf die Sprache der Mörder versteifen.«
    Einem Wissenschaftler, der sein lebenslanges Schaffen dem Verstehen des Nationalsozialismus gewidmet hat und für seine Dokumentation Der Tod ist ein Meister aus Deutschland gemeinsam mit Lea Rosh den Geschwister-Scholl-Preis erhielt, zu unterstellen, er bediene sich der Sprache der Mörder, haftet der Ruch der Unverschämtheit an. Nur sind derlei giftige Unterstellungen im anti-antiziganen Diskurs nicht die Ausnahme. Sie sind die Regel. Längst sind Völkerkundler und Historiker keine Kollegen mehr, mit denen um Wahrheiten debattiert und gerungen wird. Im Gegenteil. Wissenschaftler, deren Ergebnisse sich der Deutungshoheit und dem Meinungsumfeld des Zentralrats entziehen, werden zu Gegnern, denen die intellektuelle und moralische Redlichkeit abgesprochen wird. Das Schema ist immer dasselbe: Die Ankläger attestieren den Angeklagten eine geistige Nähe zur Ideologie der Nazis und der SS -Mörder. So dem amerikanischen Historiker Guenter Lewy.
    2001 erschien sein Buch Rückkehr nicht erwünscht – Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich in deutscher Sprache und ließ nicht nur die Fachwelt aufhorchen. Bewegend schilderte Lewy das grausame Martyrium, dass die Zigeuner während ihrer Verfolgungsgeschichte, während der Deportationen und in den Konzentrationslagern durchlitten. Für die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte beklagte der gebürtige Breslauer, dass der nationalsozialistische Rassentheoretiker und Nervenarzt Robert Ritter unbehelligt seine medizinische Karriere fortsetzen konnte, während den Opfern der Nazis mit beschämender Schäbigkeit jahrzehntelang jede Entschädigung verweigert wurde. Fakt ist auch, dass sich die Bundesrepublik ohne das kämpferische Auftreten des Zentralrats in den achtziger Jahren fraglos aus ihrer historischen Schuld und Verantwortung

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