Zigeuner
herausgeschlichen hätte. In einer entscheidenden Frage jedoch wichen Lewys Forschungsergebnisse von der Position des Zentralrats ab. Lewy relativierte keineswegs die Zahl und das Leid der Opfer, doch vertrat er die Ansicht, hinter dem Massenmord der Nazis an den Zigeunern habe nicht derselbe rassistisch motivierte Wille zur totalen Liquidierung gestanden wie bei dem Plan, das ganze Volk der Juden zu vernichten. Lewy widersprach damit Romani Rose, dem auch der Journalist Henrik M. Broder im Spiegel attestierte, er wolle »ein Geschichtsbild durchsetzen, wonach Sinti und Roma mit exakt derselben Radikalität vernichtet wurden wie die Juden«. Zuspruch erhielt Lewy zudem von Tsiganologen wie Bernhard Streck oder von Historikern wie Hans Mommsen oder Eberhard Jäckel: Letzterer erklärte im Kölner Stadtanzeiger:
»Es hat eine schreckliche Verfolgung der Zigeuner sowohl in Deutschland als auch in den von Deutschland besetzten Gebieten gegeben. Im Sommer 1944 sind viele Tausend Zigeuner in Auschwitz im Gas erstickt worden. Aber trotzdem verbietet sich eine einfache Gleichsetzung. So hat Hitler in fast jeder Rede die angebliche Gefahr des internationalen Judentums beschworen, dagegen hat er die Zigeuner öffentlich nicht ein einziges Mal erwähnt.«
Als historischem Laien fällt es mir schwer, die Stichhaltigkeit der Argumentationen zu bewerten. Unstrittig ist jedoch, dass Guenter Lewy als integrer Forscher gilt, dessen tief empfundenes Mitgefühl für die Zigeuner über jeden Zweifel erhaben ist. Gewiss kann man Lewys Ansicht zur Diskussion stellen, Massenvergasungen von Sinti und Roma in dem polnischen Vernichtungslager Chelmno und in Auschwitz-Birkenau seien erfolgt, um die Ausbreitung einer Typhusepidemie zu verhindern oder um Platz für die Unterbringung ungarischer Juden zu schaffen. Nur, wenn Wilhelm Solms, der Vorsitzende der Gesellschaft für Antiziganismusforschung, Lewys Thesen ablehnt, zielt er auf dessen Ehre: »Man möchte fast meinen, dass er die Nazis nicht nur entschuldigen, sondern ihnen auch noch danken will.«
So etwas sagt man nicht.
Zurück zum Berliner Mahnmal. Die Gegner der Verwendung des Wortes »Zigeuner« führten immer wieder ein Argument an, das ernst genommen werden muss: einen Vergleich, eine Parallele zwischen dem deutschen Schmähwort »Zigeuner« und dem amerikanischen Schimpfwort »Nigger«. So fragte Michail Krausnick: »Wäre in den USA ein Gedenkstein mit der Inschrift für den ›als Nigger‹ ermordeten Martin Luther King diskutierbar?« Auch Romani Rose griff den Vergleich mit dem schwarzen Bürgerrechtler auf. »Zigeuner«, erklärte Rose, »ist eine Kategorie der Täter. Sie ist gleichbedeutend mit jenen verleumderischen Stereotypen, die die Nationalsozialisten zur Legitimation ihrer mörderischen ›Rassenpolitik‹ gezielt benutzten. Wer würde heute allen Ernstes fordern, ein den schwarzen Deutschen gewidmeter Gedenkort müsse in seiner Inschrift die Begriffe ›Neger‹ oder ›Rheinlandbastarde‹ aufgreifen, nur weil die Menschen unter dieser stigmatisierenden Kategorie von den Nazis verfolgt wurden?«
Nun hat sich meines Wissens nie ein Amerikaner gegenüber den Deutschen als »Bastard« bezeichnet. Und Martin Luther King hat sich gewiss niemals »Nigger« genannt. Der Vergleich zwischen diesen Begriffen wäre dann stimmig, sollte »Zigeuner« tatsächlich eine Kategorie der Täter sein, eine diffamierende Fremdbezeichnung und ein rassistisches Schimpfwort.
Immer wieder erklärt Romani Rose mit einer gewissen Hartnäckigkeit, die Sinti und Roma hätten sich selbst niemals Zigeuner genannt. Natascha Winter behauptete bis zu ihrem Tod das Gegenteil. »Ich würde mich und andere nicht als Zigeuner oder Zigeunerin bezeichnen, wenn dies von unseren Eltern und Vorfahren als abwertend oder beleidigend empfunden worden wäre … Die Bezeichnung Zigeuner war für die Zigeuner selbst kein Thema, sie haben sich gegenüber Außenstehenden selbst so bezeichnet.«
Wer hat recht?
Bei solchen Fragen ist ein Rückgriff auf das Wissen des Ethnologen Benninghaus hilfreich. Demnach wurde schon kurz nach dem Krieg in München ein »Komitee Deutscher Zigeuner« ins Leben gerufen. 1958 gründeten Sinti um Walter Strauß, Wilhelm und Johannes Weiß ein »Zentralkomitee der Zigeuner«, 1968 der Rom Rudolf Karway in Hamburg eine »Internationale Zigeunerrechtskommission«. 1973 wiederbelebte Wilhelm Weiß das alte »Zentralkomitee« als Verein »Zigeuner International e. V.«. Die Sintezza
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