Zigeuner
die eigenen. Mit Frauen und Töchtern anderer Familien und Sippen haben sie weniger Probleme. Den in Fragen der Sexualität recht schamhaften Sinti zu unterstellen, sie würden ihre Frauen auf den Strich schicken, ist eine schwere Beleidigung, die sicher nicht intendiert, sondern dem Automatismus geschuldet ist, das »Z-Wort« einem pawlowschen Reflex gleich durch »Sinti und Roma« zu ersetzen.
Um es klar zu sagen: Es ist respektlos, einen Sinto oder eine Sintezza »Zigeuner« zu nennen, wenn diese nicht Zigeuner oder Zigeunerin genannt werden wollen. Das ist eine Frage gegenseitiger Achtung, über die nicht verhandelt werden sollte. Die Sachlage ist im Grunde einfach. Oder könnte es zumindest sein. Romani Rose ist ein Sinto, der nicht Zigeuner genannt werden will. Natascha Winter war eine Sintezza, stolz, eine Zigeunerin zu sein. Nun könnten beide Ansichten friedlich koexistieren. Das aber tun sie nicht. Weil es nicht um Begriffe geht, sondern um politische Macht, um gesellschaftlichen Einfluss und um unsäglich unkluge Rechthaberei. Wobei nicht zählt, wer die plausibleren Argumente auf seiner Seite hat, sondern jenes Mehr an medialer Präsenz und lobbyistischer Potenz, das nötig ist, um sich im öffentlichen Meinungsranking durchzusetzen.
Der Tsiganologe Bernhard Streck, der emeritierte Direktor des Leipziger Instituts für Ethnologie, meinte, es gehe bei dem Namensstreit um die Zigeuner »einzig um Macht, Einfluss und Gelder. Und um ein schlechtes Gewissen bei Journalisten, die unter keinen Umständen unkorrekt erscheinen möchten«. Der Völkerkundler Benninghaus wie auch das bulgarische Forscherpaar Elena Maruschiakova und Vesselin Popov beargwöhnen eine europaweit aufgeblähte und ausufernde »Gypsy-Industry«, in der immer mehr Organisationen um Fördermittel und Projektbudgets buhlen. Auch der Kriminologe Szilveszter Póczik bemerkt, dass allein in Ungarn im Umfeld humanitärer Einrichtungen ungezählte, oft lukrative Stellen geschaffen wurden, um sich den Roma-Fragen »von der eher gedanklichen Seite zu nähern«, anstatt reale Probleme zu lösen. »Man darf nicht vergessen«, so Natascha Winter in einem Interview Ende 2010, »dass hier erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Geschätzte 95 Prozent der Forschungsresultate stammen doch aus der Feder von Nichtzigeunern. Ähnlich ist es mit dem Zentralrat, alle hauptamtlichen Mitarbeiter sind durchweg keine Zigeuner. Es wird unsere Kultur zugunsten von Fördergeldern geopfert.« Ob dem so ist, kann ein Gadscho schwerlich beurteilen. Wie auch immer, jedenfalls wird, wer bei einem Antrag auf Fördermittel den Begriff »Zigeuner« statt »Sinti und Roma« favorisiert, vom Geldkuchen definitiv keinen Krümel abbekommen.
Sehr spät, erst 1992, folgte die damalige deutsche Bundesregierung dem Anliegen des Zentralrats, den Völkermord an den Sinti und Roma nicht zu verdrängen und der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit einem Mahnmal zu gedenken. Dem Bund oblag die Finanzierung, das Land Berlin stellte ein Grundstück in exponierter Lage unweit des Reichstages zur Verfügung. Dennoch fand die Einweihung erst im Herbst 2012 statt, in einem würdigen Staatsakt, der zwei Jahrzehnte unseliger Querelen beendete. Dass die Streitigkeiten um die rechte Form des Erinnerns nicht zu einer endlosen Farce gerieten, ist sicher auch dem israelischen Künstler Dani Karavan zu danken. Der Bildhauer, Jahrgang 1930, hat ein Denkmal geschaffen, voller poetischer Kraft, still und bewegend, eindringlich, aber nicht aufdringlich. Ein kreisrunder künstlicher See von zwölf Metern Durchmesser weckt bei dem Betrachter den Anschein, sich in der bodenlosen Tiefe eines dunklen Brunnens zu verlieren. Aus dem schwarzen Wasser taucht jeden Morgen auf einer versenkbaren dreieckigen Steinstele eine Blume auf. Verwelkte Blüten werden durch frische ersetzt, als Symbol für den Schmerz des Erinnerns, des Vergehens, wie auch für den Beginn neuen Lebens.
Bevor sich Karavans Intention, im Herzen Berlins einen »Ort der Stille und Besinnung« zu schaffen, endlich erfüllte, hatten sich die Interessenvertreter der Sinti und Roma heillos zerstritten. Über die Inschrift des Denkmals. Stein des Anstoßes war das Wort »Zigeuner«. Durfte es in der Inschrift auftauchen oder durfte es nicht?
Nach Romani Rose durfte es nicht. Er bestand auf einer Formulierung, die aus einer Rede Roman Herzogs stammte. Der einstige Bundespräsident hatte die Ansprache 1997 bei
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