Zigeunerprinz
Gagelin getätigt, wo ein Verkäufer mit schwerem englischen Akzent und dem unwahrscheinlichen Namen Worth nur einen einzigen Blick auf sie geworfen und ihnen dann einen Schal aus hellgrauer Wolle gebracht hatte, der so fein gewebt war, daß man ihn durch einen Ehering ziehen konnte. Er sei wie für sie geschaffen, hatte er mit Inbrunst erklärt; tatsächlich ließ er ihre Haut so fein und zerbrechlich wie Porzellan erscheinen und verwandelte ihre Augen in weiche, rätselhafte Teiche.
Als ihre Garderobe wieder aufgefüllt war, widmeten sich Mara und ihre Großmutter dem Reigen der Vergnügungen: Sie besuchten die Oper und die Comedie Francaise; sie ließen sich auf Diners und Bällen feiern, die freundlicherweise von ihrer Gastgeberin arrangiert wurden. Auf einem der letzten begegneten sie Nicholas de Landes.
De Landes war ein Hofbeamter, der in untergeordneter Stellung im Außenministerium beschäftigt war, wenn Mara auch nie genau hatte feststellen können, worin seine Arbeit bestand. Er war schlank und dunkelhaarig und hatte einen kurz gestutzten Schnauzer und Kinnbart. Sein Benehmen und seine gute Erziehung entsprachen denen eines Höflings des ancien regime, ebenso sein nichtssagendes Lächeln. Er hatte erklärt, er sei bezaubert, die Bekanntschaft der Damen aus Louisiana zu machen, das einst eine hochgeschätzte Kolonie Frankreichs gewesen sei, und sich dann erboten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihren Aufenthalt in Paris zu einem unvergeßlichen Ereignis zu machen.
Ihre Pariser Cousine hatte sie vor ihm gewarnt und erklärt, daß er trotz seines Gehabes nur ein Kleinbürger sei; seine Eltern seien der Sohn eines Notars und die Tochter eines kleinen Landbesitzers. Er selbst strebe nach Höherem; das sei allgemein bekannt. Dieses ausgeprägte Standesbewußtsein hatten Mara und ihre Großmutter nicht beeindruckt; wenn überhaupt, dann hatte es sie dazu veranlaßt, ihn wie zum Ausgleich noch herzlicher zu behandeln.
Sie hätten lieber auf ihre Cousine hören sollen. De Landes hatte Maras Großmutter in eine oder zwei der verschwiegenen Spielhallen in den weniger angesehenen Vierteln der Stadt geführt. In einem Umkreis von fünfzig Kilometern um die Stadt war jedes Glücksspiel verboten, doch es gab immer Menschen, die einen so aufreizenden Zeitvertreib organisierten. Zuerst war das verbotene Spiel einfach spannend, weil verboten, gewesen, und Helene hatte kleine Summen gewonnen, doch nach und nach war es zur Besessenheit geworden. Sie verlor immer mehr. De Landes ernannte sich zu ihrem Bankier, lieh ihr verschieden hohe Summen und akzeptierte ihre handgeschriebenen Schuldscheine anstelle einer Bezahlung. Jedesmal nach einer katastrophalen Nacht an den Kartentischen schwor sich Helene morgens, daß sie nie wieder dorthin gehen würde, aber sobald es Nacht wurde, schien sie nicht mehr fernbleiben zu können. Mara beobachtete sie ängstlich, aber sie hielt Grandmere Helene für eine vernünftige Frau, die genau wußte, was ihr Geld wert war.
Dann war der Morgen gekommen, an dem Nicholas de Landes ihnen einen Besuch abstattete. Obwohl er untröstlich sei, einer Dame so etwas sagen zu müssen, könne er die Spielschulden von Madame Helene Delacroix nicht länger ausgleichen. Sie müsse ihm das geschuldete Geld mit Zinsen zurückzahlen. Er sei überzeugt, es gäbe keine Schwierigkeiten, da die Zuckerpflanzer Louisianas bekanntlich über unermeßliche Reichtümer verfügten. Bestimmt würde der Sohn der Madame Geld leihen, sollte sie vorübergehend in Schwierigkeiten sein. Es müsse nur noch geklärt werden, wie man alles arrangiere.
Helene war fassungslos, als er ihr die Summe ihrer Verluste nannte. Wie sich die Beträge so hatten vermehren können, ohne daß sie es gemerkt hatte, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Aber dort stand, Tag für Tag säuberlich addiert, eine Summe von insgesamt einhunderttausend Francs. Sie besaß längst nicht soviel. Und, das wußte sie, Andre auch nicht.
Im Jahr 1847 hatten die Vereinigten Staaten und die übrige Welt einen finanziellen Einbruch erlebt. Im vergangenen Herbst hatte eine Kartoffelkrankheit die Ernte in beinahe ganz Europa vernichtet, und nach einem frühen Kälteeinbruch, gepaart mit langen Regenperioden, war auch die Weizenernte mager ausgefallen. Jetzt waren die Lebensmittel so knapp, daß die Preise explodiert waren. In Frankreich sprach man vom »Jahr des teuren Brotes«. Andre war ebenso davon betroffen wie jeder andere; er war, um
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