Zigeunerprinz
wich hastig einen Schritt zurück, aber es war zu spät. Er war vor ihr, packte ihre Hand und zog sie ans Licht. Sie strauchelte leicht, und sein Griff, der sich warm und fest um ihre Finger schloß, verstärkte sich augenblicklich, um sie zu stützen.
»Willkommen, schöner Geist«, sagte er. Seine Stimme klang sanft, aber kühl, und einen Augenblick später scharf wie ein aus der Scheide gezogener Degen, als er sich an seine Männer wandte. »Schön oder nicht, sie ist zweifellos ein Geist, denn wie wäre sie sonst an den Wachen vorbeigekommen?«
»Es ist mein Fehler, Hoheit.«
Aus der Dunkelheit hinter ihr trat ein junger Mann. Er war dunkel und trotz seines verwegenen Aussehens hübsch, hatte flinke braune Augen, trug einen goldenen Ring im Ohr und ein Porzellanmuschelamulett an einem Lederband um den Hals. Er hielt sich aufrecht und zeigte weder Unterwürfigkeit noch Schuld.
»Nun, Luca?«
Der Zigeuner Luca machte eine Handbewegung zu Mara hin. »Sehen Sie sie an. Erkennen Sie eine Gefahr? Ich habe gesehen, wie man sie aus einer Kutsche warf. Als sie in diese Richtung kam, bin ich ihr gefolgt.«
»Wie grausam«, antwortete Prinz Roderic. »Du hättest ihr deine Hilfe anbieten können.« Er sagte das nur nebenbei, aber er zog die Stirn in Falten, während sein Blick auf Maras bleichem Antlitz ruhte.
»Es schien mir das beste zu beobachten, was sie tun würde.«
Mara hörte den lauernden, neugierigen Unterton in der Stimme des Zigeuners und dachte an den Augenblick zurück, als sie sich aufgerafft und auf den Weg zum Zigeunerlager gemacht hatte. War allzu offensichtlich gewesen, daß sie wußte, wohin sie ging? Man hatte ihr erklärt, in welche Richtung sie sich wenden mußte, aber nach ihrem harten Sturz war sie wie betäubt und desorientiert gewesen. Schließlich war sie einfach der Musik gefolgt. Sie war nur langsam und unsicher vorwärts gekommen. Unmöglich, daß es anders gewirkt hatte. Sie wurde schwach vor Erleichterung; ihre Finger zitterten im Griff des Prinzen.
»Kommen Sie«, erklärte er abrupt und führte sie zu dem Teppichstapel, von dem er sich erhoben hatte.
Sie sank darauf nieder. Als sie die Wärme des Feuers spürte, zitterte sie, und die Platzwunde auf ihrer Stirn begann zu pochen. Sie hob die Hand, um die Haut darum abzutasten. Der Prinz schnippte mit den Fingern, erteilte leise einen Befehl, und augenblicklich näherten sich ihr zwei Zigeunerinnen. Sie reinigten ihre Wunden und banden ein rotes, von Goldfäden durchwobenes Baumwolltuch mit einem Verbandspflaster über ihre Schläfe und über die losen Locken ihres dunklen Haares, das bis zu ihrer Taille herabfiel. Nachdem sie ihr einen Becher Rotwein in die Hand gedrückt hatten, zogen sie sich schweigend auf ihren Platz zurück.
Der Wein war jung und herb, aber er spendete ihr Kraft. Sie nippte daran und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen und das Zittern durch Willenskraft zu unterdrücken. Unter den Wimpern hervor sah sie, wie sich die Männer des Prinzen um sie versammelten. Ihre Mienen verrieten ein irritierendes Mitleid, verbunden mit abwägender Geduld. Nahebei saß der Prinz auf seinen Teppichen, einen Ellenbogen auf das angezogene Knie und das Kinn in die offene Hand gestützt. Sein Blick war klar, ruhig, prüfend.
Roderic bewegte sich ein bißchen und rieb sich mit dem Finger über die Nase. Diese Frau gehörte nicht zu jenen, derer sich ein Mann entledigte, nachdem er ihrer überdrüssig war; dazu war sie zu zart, zu jung. Trotz der ängstlichen Schatten, die sie in der Tiefe ihrer klaren grauen Augen zu verbergen versuchte, erschien sie unberührt und unbedarft, was Männer anbetraf. Er hätte schwören können, daß ihr noch nicht einmal klar war, in welch bedenklicher Lage sie sich hier, mitten unter ihnen, befand. Sie war schön, ihre Haut war zart und fast durchscheinend, ihr Mund weich und voll, zum Küssen wie geschaffen. Die Wangenlinie, der Schwung ihres Halses, die feste Form ihres Kinns waren schlicht perfekt. Sie hatte kraftvolle Hände mit langen Fingern, deren schlanke Form und blasse Haut aber verrieten, daß sie nicht arbeitete. Die Seide ihres Kleides war fein gewebt, keinesfalls billig, und der Schnitt mochte zwar konservativ sein, war aber dennoch leicht als Werk des berühmtesten Modisten in Paris zu erkennen. Nein, sie war keine Frau, die ein Mann mit auf eine Landpartie quer durch Frankreich nehmen würde, um sie dann wie ein nutzloses Ding fortzuwerfen.
Er beugte sich zu ihr. »Die
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