Zigeunerstern: Roman (German Edition)
ich und kniff ein Auge zu und rülpste. Und ich gab ihnen das gute alte Rom-Zeichen, das bedeutet: Immer noch nicht tot, Freunde, noch nicht! Aber ich begriff jetzt, dass die hohen Pairs des Reiches – wer immer die jetzt sein mochten und was immer sie sich von mir zu hören erhofften – warten mussten. Auch ich würde meine brennende Neugier im Zaum halten müssen. Ich war heute tatsächlich ein wenig angeschlagen und schwächlich, und ich brauchte noch etwas Ruhe. Es war ja auch eine ziemlich geschäftige Zeit gewesen für mich, und ich bin wohl nicht mehr so jung, nehme ich an. Ja, daran liegt's wohl, das wird die Wahrheit sein: Ich bin überhaupt nicht mehr jung.
13
Es war nicht der nächste Tag, und auch nicht der übernächste. Vielleicht hatte ich fast zweihundert Jahre gebraucht. Aber schließlich hatte ich inzwischen auch gelernt, ein wenig Geduld zu haben. Also wartete ich ab, bis ich wieder einigermaßen bei Kräften war.
Dann ließ ich sie vor mich holen. Und dann erschienen sie auch.
Ich befand mich im Audienzzimmer des Palastes, den die Gaje vor so vielen hundert Jahren freundlicherweise dem Rom baro zur Verfügung gestellt und immer zu seiner Verfügung gehalten haben, wann immer er sich in der Capitale aufhält. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihnen jemals in den Sinn gekommen wäre, das Audienzzimmer könnte einem solchen Zweck dienen, wie dies am heutigen Tag der Fall war. Nein, nicht in Millionen Jahren hätten sie an so was gedacht.
Es war eine recht förmliche Angelegenheit. Also zog ich mir meine feinsten Kleider an und setzte mich auf meinen Thron, und da hockte ich inmitten der Zeremonialgegenstände meines Amtes und meiner Herrschaft: die seidene Bestallungsrolle; dieses Silberzepter mit den fünf heiligen Symbolen des Beils, der Sonne, des Mondes, des Sterns und des Kreuzes; meine Statuette der Schwarzen Jungfrau Sara; mein Wunderrad; mein Schartenstab. Eine grandiose Zurschaustellung urtümlicher Größe. Da sitzt er jetzt, der König der Zigeuner in aller seiner Majestät, ja. Und jetzt jubelt mal alle brav!
»Bringt sie herein!«, sagte ich.
Unter der Tür zeigt sich eine Dämonengestalt. Bizarres Maskenkostüm. Roter strohiger Bart, vorquellende grüne Augen, weißes Gehörn. Der Umhang – ein Dutzend von Farben in leuchtenden Streifenbändern. Die Gestalt hält inne, vollzieht eine Ehrenbezeugung, verbeugt sich steif aus den Hüften … bezieht links von mir Position, dicht beim Fenster.
Der nächste. Nein, die eine Frau, ganz geschmeidiges Wogen. Goldene Maske, nur Schlitze für die Augen. Darunter sichtbar, das entschlossene Kinn mit einem Tätowierungsmuster aus ineinander verschlungenen blauen Linien. Eine Robe, die wie kaltes Feuer blitzt. Die gleiche Ehrbezeugung. Dann tritt sie neben den ersten Besucher.
Was soll diese Maskerade? Wer sind diese Dämonen und Hexen?
Eine dritte Gestalt. Gefährlich wild aussehende Dornen an der Halskrause; riesenhafte schwarze Geweihstangen, die hoch über einem Kuppelschädel aufragen. Verbeugung. Tritt an seinen Platz. Es ist sehr, sehr still im Raum. Polarcas Augen blitzen wie Leuchtfeuer. Damiano starrt mit verkniffenem Mund vor sich hin. Valerian spukt nervös teils herein, teils aus der Szene; ich sehe die Energiefelder um ihn herum flackern.
Und der vierte Pair des Imperiums. Ein Krokodilskopf, kurze, fellbewachsene tierhafte Stummelbeinchen. In der Hand eine Stimmgabel.
Der Fünfte. Fledermausschwingen, Reißzähne, in der schwarzen langen Klauenhand rußt eine Fackel.
Ungeheuer und Dämonen. Das sollen die Pairs des Imperiums sein?
Ein Meerweib, Fischschuppen und Brüste. Ein Bocks-Mann, prustend und protzig. Dann einer mit einem gewaltigen Vogelschnabel und leuchtenden Federn, die wie aus sich selbst heraus strahlen.
Ein löwenköpfiges Wesen. Eines mit einem Lurchschädel.
Und da stehen sie – neun Ungeheuer im Halbkreis vor mir aufgebaut. Wie still und bewegungslos sie sind! Und was jetzt? Werden sie sich auf mich stürzen, mich bei lebendigem Leibe fressen, wie ich da auf meinem Thron sitze?
Ein Signal. Der Gehörnte tritt vor. Kniet nieder. Berührt meinen Schuh. »Majestät«, sagt er. Wie? Was? Was? Die Stimme, die aus der schweren Kopfmaske dringt, ist dunkel, tief, rau und heiser.
»Majestät«, sagt der Löwenkopf und tritt näher.
»Majestät.« Das Meerweib.
Einer nach dem anderen. Es ist ein Traum. Es ist irgendwie ein phantastischer Augenblick, außerhalb von Raum und Zeit. Das
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