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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Da, schau nur, wie sie mich alle anstarren, mit offenem Maul glotzen! Mir erschienen sie allesamt wie bleiche Phantomgestalten. Unwirklich. Alles hier erschien mir als unwirklich. In meinem Hirn glühte noch die Zigeunersonne. Ich sah immer noch diesen Palast aus Schilf, diese lange Schlange stummer Bürger, diesen König in seiner gewaltigen feierlichen Würde – die große rote Sonne, die anschwillt und wächst und immer gewaltiger und gewaltiger wird …
    » Mon ami, ich flehe dich an …« Julien. »Du wirst morgen wieder in exzellenter Verfassung sein. Aber du darfst dich nicht überfordern, du darfst jetzt nichts von dir verlangen, was zu leisten du incapable bist. Ich flehe dich an …«
    »Du?«, sagte ich.
    Röte trat ihm ins Gesicht. »Wem immer ich in der Vergangenheit gedient haben mag, Yakoub, es spielt jetzt keine Rolle mehr. Jetzt bin ich nur dir zu Diensten. Und darum bitte ich dich dringlich, Yakoub, erhole dich erst einmal. Schone dich. Der erbarmenswürdige Thronprätendent bittet einen wahren König. Du brauchst deine Kräfte für morgen.«
    »Morgen? Was ist morgen?«
    Julien schaute zu den anderen hin. Ich sah Damiano nicken, dann auch Polarca.
    Und Julien sprach weiter: »Die Audienz morgen. Die Pairs des Imperiums, die neuen, jene, die diesen Holokaust hier überlebten. Seit Tagen schwirren sie um den Palast herum und betteln um eine Audienz, sobald du das Bewusstsein wiedererlangt haben würdest. Es sei von allerhöchster Dringlichkeit, sagen sie. Du seist der König, und es gebe derzeit keinen Kaiser, sagen sie: also müssten sie dich unbedingt sprechen. Sie brauchen deine Hilfe. Sie sind völlig durcheinander.«
    »Die Pairs des Imperiums? Höchste Dringlichkeit? Völlig durcheinander?« Ich starrte sie verständnislos an.
    »Vielleicht ist morgen noch zu früh«, bemerkte Damiano. Vorsichtig wie immer. »Wir wollen nicht, dass du dich überforderst. Wenn sie so lange gewartet haben, können sie gut auch noch ein paar Tage länger …«
    »Nein«, sagte ich fest. »Morgen ist vielleicht bereits zu spät. Sie brauchen meine Hilfe. Wie könnte ich ihre Bitte missachten? Bring sie sofort her, Mann!«
    »Ah, mon vieux, mon ami!«, krähte Julien. »Nicht heute! Nicht schon so bald! Du bist doch kaum erst aus dem Koma erwacht. Verschiebe es bis morgen.«
    »Lasst sie holen!«
    Polarca warf verzweifelt die Hände in die Luft. Damiano ballte mit verkniffenem, wütendem Gesicht die Fäuste. Syluise hing in flehender Demutsgeste an meinem Arm. Ich sah die Bestürzung in Chorians Gesicht, und sogar ein junger Mann, der an Chorians Seite stand, den ich zuvor nicht bemerkt hatte und den ich überhaupt nicht kannte, schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: Nein, nein, Yakoub, nicht so hastig, nicht eher, als bis du besser bei Kräften bist.
    Aber ich war entschlossen. Die anarchischen Zustände, dieses Machtvakuum hatten schon zu lange gedauert und waren zu gewaltig geworden … Wenn ich ein König war – und ich war ein König! –, dann durfte ich mich meiner Pflicht nicht entziehen. Ich musste mich stellen. Sofort!
    »Lasst sie zu mir kommen!«, donnerte ich.
    Allerdings war dies der letzte Donner, den ich an diesem Tag zustande brachte. Noch während die Worte aus meinem Mund kamen, merkte ich, dass meine eigene Heftigkeit verderblich war. Ich schwankte, taumelte und sackte neben dem Bett zusammen. Ich glaube, für einen Augenblick war meine Seele bestrebt, wie ein Blitz aus meinem Körper in die Freiheit zu entkommen. Aber ich zwang sie, zu bleiben. Ich fragte mich verdutzt: So, das ist also Yakoubs letzter Augenblick? So blödsinnig, so absurd verfrüht, gerade jetzt, wo noch so viel zu vollbringen ist … Nein! Nein! Bei den geheiligten Fürzen sämtlicher Heiligen und Dämonen! Nein! Noch nicht! Noch nicht!
    Ein schlimmer Augenblick. Und ein sehr unpassender, idiotischer Augenblick.
    »Na, mal langsam, vorsichtig du«, flüsterte Valerian, während er mich auf das Kopfkissen bettete. »Es geht schon wieder. Ganz ruhig, ruhig, du mein Yakoub! Gebt ihm was zu trinken, rasch! Nein, nicht Wasser, du Trottel! Hier, trink das. Trink, Yakoub … So ist's gut. Und noch ein Schlückchen von Juliens ältestem Cognac. Da, trink …«
    Und als der schwere feurige Alkohol mir durch die Kehle floss, spürte ich, wie das Leben in mich zurückkehrte. Aber trotzdem dauerte es ekelhaft lange, dreißig Sekunden, vielleicht eine ganze Minute, bevor ich wieder einigermaßen Herr meiner selbst war. Dann lächelte

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