Zikadenkönigin
goldgerahmtes Foto des Sultans, der dem König von England die Hand schüttelte. Eine Ameisenfarm in einem handbemalten großen Glas, in dem zentimeterlange Borneo-Ameisen wimmelten und sich über Melassebrocken hermachten. Ein junger Banyan-Bonsai vom Vorsteher des kampong.
Der Vorsteher, ein älterer Malaie, war zugleich Anwerber für Bruneis regierende Partei, die Grünen, auch »Partei Ekolojasi« genannt. Im Westen waren die Grünen schon vor langer Zeit in größeren Parteien aufgegangen. Aber die Partei Ekolojasi Bruneis war seit zwanzig Jahren fest verwurzelt.
Der Banyan war ihm zusammen mit fünf Seiten peinlich genauer Instruktionen zur Pflege und Ernährung geschenkt worden, aber trotz Turners Bemühungen wurde der winzige Baum gelb und warf seine Blätter ab. Der Baum war nicht einfach nur ein Geschenk; er war eine Prüfung, und Turner wußte es. Der kampong lächelte, aber sie hatten ihre eigene Art zu prüfen, und sie beobachteten ihn.
Turner betrachtete nachdenklich den Riegel vor seiner Tür. Schlösser waren nicht ausdrücklich verboten, aber man sah sie nicht gern. Die Grünen hatten Bruneis alte Bürohäuser in riesige wimmelnde Dörfer verwandelt. Westliche Vorstellungen von Privatheit waren unpopulär.
Aber Turner brauchte den Riegel für seine Arbeit. Er mußte diskret vorgehen. Brunei schien locker und informell, aber es war immer noch ein Einparteienstaat unter einem autokratischen Regime.
Vor zwanzig Jahren, als das Land den Ölcrash erlitten hatte, schien die Monarchie zum Untergang verurteilt. Die aufständischen Moslems hatten die Adligen planmäßig ermordet. Selbst die Grünen hatten damals noch größere Träume gehabt. Turner hatte ihre abblätternden, vergessenen Plakate gesehen. Ihr Wahlspruch der Geeinten Erde war unter Fahndungsfotos und Fußballplakaten halb versteckt.
Die Königsfamilie hatte dennoch die Oberhand behalten, ein Symbol der Tradition und der Stabilität. Sie hatte den Ansturm der Moslem-Aufständischen überlebt und den ersten wilden Ehrgeiz der Grünen gedämpft. Nach fünf Monaten in Brunei hatte Turner die verborgene Dynamik des Landes verstanden. Es war adat, der malaiische Brauch, der hier herrschte. Und das erste Gesetz des adat war, daß man die Nachbarn nicht in Verlegenheit bringen durfte.
Turner nahm sein Lieblingsposter von der Wand, das große Plakat eines historischen Films über Bruneis Helden. In grellem Vierfarbdruck ging eine Ladung heroischer Malaien-Piraten gegen eine finstere portugiesische Galeere vor. Turner hatte hinter dem Poster ein Loch in die Wand geschlagen. Dort versteckte er das Telefon.
Jemand rüttelte an der Tür, wurde vom Riegel aufgehalten und klopfte leise. Turner glättete rasch das Plakat und hängte es auf.
Er öffnete. Es war sein australischer Nachbar McGinty, ein pensionierter Nachrichtensprecher aus Melbourne. McGinty liebte Brunei, weil es hier keine Fernseher gab. Es war einer der letzten Orte auf dem Planeten, an denen man vom Fernsehen verschont blieb.
McGinty blickte den Gang hinauf und hinunter, trat ein und langte in seine lockere Baumwollbluse. Er zog eine kalte Literdose mit Foster's Lager heraus. »Ein Bier, Kumpel?«
»Phantastisch!« sagte Turner. »Wo haben Sie das her?«
McGinty lächelte unbestimmt. »Der verdammte Kühlschrank gibt bald den Geist auf, und ich dachte, Sie wollen eins, solange es noch kalt ist.«
»Und ob«, sagte Turner, während er den Verschluß knackte. »Ich werde mir Ihren Kühlschrank ansehen, sobald ich diese Beweise vernichtet habe.« Der kampong war im Grunde ein Geflecht aus Tauschhandel und gegenseitigen Verpflichtungen. Turners Geschicklichkeit war ein Teil davon. Es war anstrengend, aber ein Foster's Lager war ein guter Lohn. Es war erheblich besser, als die Gehirnschäden, die nach Genuß des illegalen Gebräus aus Etage 4 drohten.
Sie gingen in McGintys Zimmer. Er wohnte mit seinen alten Eltern nebenan. Sie waren zu viert, denn sein Vater und seine Mutter waren geschieden und hatten beide wieder geheiratet. Die alten Australier gediehen in Bruneis schläfriger Atmosphäre prächtig. Sie kramten in Tropenhelmen, Gurkha-Shorts und Khaki-Buschhemden in den kampong -Gärten herum. McGinty war wie viele seiner Generation kinderlos. Jetzt als Rentner schien er damit zufrieden, seine greisen Eltern zu behüten und sie mit Megavitaminen und allmorgendlichen Tai-Chi-Übungen fit zu halten.
Turner zerlegte den Kühlschrank. »Es ist der Kompressor«, sagte er. »Ich werde
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