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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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obwohl seine Familie ihn ständig drängte.
    Er dachte schuldbewußt, daß er mehr Zeit mit Georgies Kindern hätte verbringen müssen. Georgie war schon lange zu luftigen Höhen aufgestiegen, ledergebundene Gesetzesbücher und Lokalpolitik, aber das war ja nicht die Schuld seiner Kinder. Kinder waren unschuldig. »Hallo Kinder«, sagte er auf Mandarin. »Ich bring euch auch was mit.«
    Das kleinere Mädchen blickte auf. Ihr hübscher Kindermund war mit Erdbeermarmelade verschmiert. »Ich will einen Schrumpfkopf«, sagte sie auf englisch.
    »Siehst du?« sagte Georgie mit falscher Jovialität. »Das kommt davon, wenn man sich nach Borneo verdrückt.«
    »Ich brauche Modem-Software«, sagte Turner, der Anspielung ausweichend. Großvater hatte Einwände gegen Borneo gehabt. »Kannst du sie mir vom alten Hayes in meinem Zimmer überspielen?«
    »Wie soll ich dir Programme senden, wenn du kein Modem benutzen kannst?« fragte Georgie.
    »Druck es aus und halte es an den Bildschirm«, sagte Turner geduldig. »Ich zeichne es auf und tippe es von Hand ab.«
    »Das ist gerissen«, sagte Georgie. »Ihr Ingenieure.«
    Er stand auf, um die Übertragung vorzubereiten. Turner sprach inzwischen vorsichtig mit Marjorie. Er konnte die Frau nicht durchschauen. Turner hätte gern gewußt, wie sie wirklich über den bösen Großvater mit den kalten Augen und seine acht Millionen Dollar aus dem Heroingeschäft der Triade dachte.
    Aber Marjorie war so kühl und elegant, so klug und beherrscht, daß Turner sich nie hatte überwinden können, ihre wirklichen Gefühle herauszukitzeln. Es wäre gewesen, als hätte er das Siegel eines Peripheriegeräts gebrochen, dessen Garantie noch nicht erloschen war, nur um einen Blick auf die Schaltungen zu werfen.
    Selbst er und Georgie sprachen nicht mehr offen miteinander. Nicht mehr, seit Großvaters Gesundheit so angeschlagen war. Die Aussicht, schließlich das Geld zu erben, legte ein unsicheres Schweigen über die Familie, dämpfend wie drei Meter kanadischer Schnee.
    Der schreckliche alte Mann genoß diesen Wettstreit um seine Gunst. Er förderte ihn sogar. Großvater hatte einen zweiten Haushalt in Taipeh: Turners Onkel und seine Cousinen. Wenn Großvater ihnen vor seinen kanadischen Nachkommen den Vorzug gab, würde Georgies stilvolles Leben in Stücke gehen.
    Eine Kindheitserinnerung stieg in Turner hoch: Georgies Spielzeuge, grell bemalte kleine Aufziehautos aus Hongkong, die aus gefalteten Blechstreifen zusammengesetzt waren. Turner hatte als Kind viele glückliche, heimliche Stunden damit verbracht, Georgies Autos geschickt auseinanderzunehmen.
    Marjorie schwatzte über Turners Mutter, eine neurotische Witwe, die in Atlanta ein Antiquitätengeschäft betrieb. Hinter ihr begann ein chinesisches Mädchen den Tisch abzuräumen. Sie blickte mit den verängstigten Augen einer Immigrantin, die gerade erst das Boot verlassen hat, zur Kamera hoch.
    Turner war an Telefonkameras gewöhnt, und obwohl er nicht senden konnte, setzte er aus Gewohnheit ein starres Lächeln auf. Aber er spürte, wie er immer mürrischer wurde. Sein Gesicht verknotete sich. Er hatte den Blick des bösen Cops geerbt. Turner hatte das Gesicht, die hohlen Wangen und die eingefallenen Augen unter den dicken, einschüchternden Augenbrauen seines Großvaters geerbt.
    Aber Kanada, Turners Geburtsland, hatte seine Spuren hinterlassen. Jahre mit Steaks und Wonder Bread hatten ihm eine Größe von einem Meter achtzig und die Statur eines Hafenarbeiters verliehen.
    Georgie kam mit dem Ausdruck zurück. Turner verabschiedete sich und unterbrach die Verbindung.
    Er zog die Blenden hoch, um den Höhepunkt des Films unten anzusehen. Der Affen-Dämon massakrierte in den verrosteten Trümmern einer Shell-Raffinerie eine kleine Armee von Moslem-Extremisten. Moslem-Fanatiker waren seit ihrem fehlgeschlagenen Coup im Jahre '98 die Standardbesetzung für Bösewichter in Brunei.
    Die letzten Meter der Filmspule liefen. Turner löste die Bananenblatthülle und bearbeitete mit seinen Eßstäbchen einen Mitternachtsimbiß aus gebratenem Reis mit Ananas. Er lehnte sich ins offene Fenster und setzte einen Stiefel auf die breite Fensterbank mit dem dichten Bewuchs aus Zwiebeln und Pfeffersträuchern.
    Der Anruf in Vancouver hatte den Schauder eines Kulturschocks hinterlassen. Er sah sein Apartment mit neuen Augen. Es war mit Begrüßungsgeschenken aus seinem kampong geschmückt. Eine platte Schattenpuppe aus Leder, stark perforiert und mit Locken. Ein

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