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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Ölbooms des zwanzigsten Jahrhunderts umgeben: Kästen von Bürohäusern, die in bizzare Stadtfarmen verwandelt worden waren.
    Brunei Town, die Hauptstadt des Sultanats, hatte hunderttausend Einwohner: Malaien, Chinesen, Ibaner, Dajaks und ein paar Europäer. Aber es war eine Stadt, über der ein drückendes Schweigen lag. Keine Autos. Kein Flughafen. Kein Fernsehen, Aus einiger Entfernung erinnerte sie Turner an ein altes westliches Märchen: Dornröschen. Die stark veränderten Hochhäuser mit ihrem wuchernden Grün waren wie hundert Schlösser, die durch Dornenhecken geschützt wurden. Die Bewohner von Brunei schienen wie Schlafwandler, von der Welt vergessen, im Zauber ihrer Ideologie gefangen.
    Turner setzte einen neuen Köder auf den Haken. Es paßte ihm nicht, daß er nicht in der Werft war. Der Minister schien eher daran interessiert, ihn zu bekehren, als ihn arbeiten zu lassen. Für die Menschen von Brunei waren Roboter nichts als nutzlose Mahnmale ihrer lange beendeten Romanze mit dem Westen. Das alte Roboter-Fließband war seit zwanzig Jahren, seit der Jahrhundertwende, nicht mehr benutzt worden.
    Und doch hatte sich die königliche Regierung entschieden, das Robot-Fließband für ein neues Projekt wieder in Gang zu bringen. Man hatte Kyocera, einen japanischen Multi, um technische Hilfe gebeten. Kyocera hatte Turner Choi geschickt, einen ihrer neuen Rekruten, einen sechsundzwanzigjährigen CAD-CAM-Ingenieur von chinesisch-japanischer Abstammung aus Vancouver.
    Es war keine große Sache – eine Art Industrie-Archäologie, deren Hauptwerkzeuge Hühnerdraht und ein Uhrmacherhammer waren, aber es war Turners erster Auftrag, und er wollte ihn erfolgreich abschließen. Die Menschen von Brunei waren so locker, daß sie wirkten, als wären sie im Koma, aber Turner Choi hatte bei Kyocera noch einiges vor, und das Urteil der Firma über seine Arbeit war wichtig. Ihm lief die Zeit davon.
    Der Minister zog mit einem triumphierenden Schrei fest an der Leine. Ein dicker, gepunkteter Fisch brach durch die Oberfläche und zuckte am Haken. Turner beschloß, die Regeln zu brechen und darauf zu pfeifen.
    Der örtliche Bürgerverein, der kampong, führte im kleinen Park, vierzehn Stockwerke unter Turners Fenster, kostenlos einen Film auf. Helle Bilder krochen über die nackte weiße Bauhaus-Wand eines benachbarten Hochhauses.
    Turner lugte durch die Sonnenblenden hinunter. Er konnte fast den ganzen Film ansehen, während er seine illegale Arbeit beendete.
    Die Bewohner von Brunei liebten wie alle Malaien Gespenstergeschichten. Der Held oder der Bösewicht des Films (Turner war nicht ganz sicher) war ein akrobatischer Affen-Dämon mit rasiermesserscharfen Unterarmen. Er raste in ein lasterhaftes Speakeasy und schlachtete schlagend, tretend und kreischend Betrunkene ab. Markige Kampfschreie, als wären zwei Güterzüge mit Rindern zusammengestoßen, drangen gedämpft zu ihm herauf.
    Turner saß vor seiner hereingeschmuggelten Tastatur und seufzte. Er hatte geahnt, daß es dazu kommen würde, seit der Zoll bei der Einreise sein Telefon beschlagnahmt hatte. Fünf Monate lang hatte er höflich versucht, sich zu behelfen. Nun blieben ihm nur noch drei Monate. Er hatte keine Zeit mehr, und er verlor die Geduld.
    Die Roboter waren trotz der festgebackenen Schichten aus gelber Schmiere noch brauchbar. Sie hatten jahrelang unter Planen gesteckt. Aber die Software-Handbücher waren nur noch Fetzen.
    Schon der Gedanke daran ließ Turner schwindeln. Es war eine ganz persönliche Angst, die er seit der Kindheit mit sich herumschleppte. Es war die Angst, die er immer gespürt hatte, wenn er vor seinem Großvater stand.
    Er dachte an die kalten, erbarmungslosen Augen seines Großvaters, der ihn mit seinem Böser-Hongkong-Cop-Blick angestarrt hatte. In den siebziger Jahren war sein Großvater einer der berüchtigten ›MiIlionärs-Sergeants‹ der Polizei von Hongkong gewesen. Diese Truppe hatte den Rahm vom burmesischen Heroinhandel abgeschöpft. 1973 war er während der Triade-Bestechungsskandale emigriert.
    Nach siebenundvierzig Jahren mit Seidenanzügen und Erster-Klasse-Flügen zwischen seinen Wohnungen in Taipeh und Vancouver hatte Großvater Choi immer noch die kalten Augen und den bösen Verbrecherblick gehabt. Es war heute noch eine schlimme Erinnerung für Turner, daß er gewogen und zu leicht befunden worden war.
    Die Dokumentation war nicht mehr zu gebrauchen. Sie zerkrümelte und war vergilbt und beherbergte einen Zoo von

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