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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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die schwedischen Ökologen an Bord ein. Sie verbrachten den Abend, indem sie brav Orangensaft tranken und über Krakatau und das Sumpfrhinozeros diskutierten.
    Nach dem Ende der Party wartete Turner eine quälende Stunde lang und schlich ins verlassene Gewächshaus.
    Seria erwartete ihn in der feuchten grünen Hitze. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen im wäßrigen Mondlicht, das durch die Gitter der Kuppel fiel, und bürstete sich das Haar. Turner setzte sich zu ihr auf die Matte. Sie trug ein aufreizendes, rotes Kunststoffnachthemd (das Erbstück einer von Brookes zahlreichen jungen Verehrerinnen), das vor Alter knisterte. Sie war in Parfüm gebadet.
    Turner legte ihre Finger auf den kleinen Knoten in seinem Unterarm, wo unter der Haut ein Empfängnisverhüter saß. Er schleuderte seine Jeans fort.
    Sie begannen vorsichtig und still und endeten zwei Stunden später in der uralten Intimität von geteiltem Geruch und Schweiß. Turner lag auf dem Rücken, ihr Kopf ruhte auf seinem nackten Arm, und genoß das Kitzeln einer tiefen, biologischen Freude.
    Es war zauberhaft gewesen. Er fühlte sich, als sei eine ursprüngliche weibliche Energie aus ihrem Körper und durch ihn gespült und hätte ihn bis auf die Knochen durchtränkt. Plötzlich schien alles anders. Er hatte eine neue Welt entdeckt, eine Welt, in der ein Mann sein ganzes Leben verbringen konnte. Es war zehn Jahre seines Lebens wert, einfach hier zu liegen und ihre Haut zu riechen.
    Der Gedanke, sie je wieder aus den Armen zu lassen, und sei es nur für einen Augenblick, erfüllte ihn mit einer archaischen Furcht, die beinahe schmerzte. Es mußte eine Million Arten geben, sich zu lieben, dachte er träge. Ebenso viele, wie es Arten zu reden oder zu denken gibt. Leidenschaftlich. Hingebend. Verspielt, zärtlich, besessen, besänftigend. Weil man es will, weil man es braucht.
    Er bekam plötzlich Lust auf eine gemütliche Höhle – einen Ort mit einem Bett und einem Dach –, in der er die nächste Woche damit verbringen konnte, von dieser Million die ersten zwanzig oder dreißig Möglichkeiten auszuprobieren.
    Aber dann durchrieselte ihn die Erinnerung an die Zwänge der Realität. Er riß sich aus seinen Träumen und dachte schmerzhaft an die Perversität des Lebens. Hier hatte er alles, was er brauchte – er wollte sie über sich ziehen wie eine Decke und die sinnlose Kompliziertheit des Lebens ausblenden. Und genau das konnte nicht sein.
    Er lauschte ihrem friedlichen Atem und versank in düsteren Depressionen. Dies war eine Situation, die ungestüme romantische Gesten erforderte, die keiner von ihnen je machen würde. Sie durften sie nicht machen. Sie standen nicht in seinem Programm, sie waren in ihrem adat nicht vorgesehen, sie standen nicht in den Plänen.
    Wenn er wieder in Vancouver war, würde er seine Erlebnisse hier nicht mehr für real halten. Mondlicht im Dschungel und erotischer Schweiß paßten nicht zum kühlen Bergnebel über Kiefernwäldern und zum Haus der Familie in der Churchill Street. Der Kulturschock würde seine Erinnerungen fortreißen und die unzähligen unsichtbaren Fäden, die zwischen Liebenden gesponnen werden, zerfetzen.
    Während er allmählich einschlief, hatte er plötzlich eine sehr klare Vorahnung: Er sah sich im Mercedes seines Bruders auf dem Rücksitz, und die Maschine kurvte ihn ziellos in der Stadt herum. Er blickte durch sein Spiegelbild in der Scheibe zum harschigen Schnee im Queen Elizabeth Park hinaus und dachte: Ich werde sie nie wiedersehen.
    Für ihn schien nur ein Augenblick vergangen, als sie ihn wachrüttelte. »Sch-scht!«
    »Was?« murmelte er.
    »Du hast im Schlaf gesprochen.« Sie knabberte an seinem Ohr und flüsterte weiter. »Was heißt ›Set-position Q-move‹?«
    »Mein Gott«, flüsterte er zurück. »Ich hab in AML geträumt.« Er spürte den letzten Schwaden des Alptraums nach. Es war ein unaussprechlicher Schrecken aus kaltem Eisen und hilflos wiederholten Worten. »Meine Familie«, sagte er. »Sie waren alle Roboter.«
    Sie kicherte.
    »Ich hab versucht, meinen Opa zu reparieren.«
    »Schlaf wieder, Liebling.«
    »Nein.« Er war jetzt hellwach. »Wir gehen besser zurück.«
    »Ich hasse die Kabine. Ich komme mit in dein Zelt auf Deck.«
    »Nein, du würdest auffallen. Sie werden dir weh tun, Seria.« Er zog seine Jeans an.
    »Das ist mir egal. Es ist eine einmalige Gelegenheit.« Sie zog sich ihr knisterndes Nachthemd über den Kopf.
    »Ich will bei dir sein«, sagte er. »Wenn du mir

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