Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
hauptsächlich schwere Fachbücher. Neben dem Schreibtisch stand ein Teewagen mit einem bauchigen englischen Tea Pot darauf.
Etwa eine halbe Minute lang ging der Amerikaner davon aus, der britische Volkskundler sei ausgegangen. Er sah sich das Zimmer an und betrachtete die Papiere, die auf der breiten Schreibtischplatte lagen. Der Raum wurde von einer schwachen Deckenlampe ungenügend beleuchtet. Die kleine, enge Handschrift des Forschers war bei diesem schummrigen Licht kaum zu entziffern.
Warum brannte das Licht überhaupt?
War der Doktor nur kurz hinausgegangen, auf die Toilette vielleicht?
Im nächsten Augenblick sah Tyron Stood, dass Dr. Fryers den Raum nicht verlassen hatte. Und dies auch nie mehr tun würde.
Auf der Kante des Schreibtisches glänzten Tropfen. In diesem Licht und auf dem dunklen Holz wirkten sie beinahe schwarz, wie Tinte, aber es musste Blut sein. Der alte Wissenschaftler lag reglos in einer unmöglichen Haltung auf dem Fußboden jenseits des Tisches, das Gesicht nach unten. Man konnte ihn erst sehen, wenn man sich weit über die Tischplatte beugte, wie der Amerikaner es nun tat. Filmregisseure zeigten für ihr Leben gerne Leichen, die an Tischen zusammengebrochen waren, als wären sie müde geworden und hätten es sich zu einem Nickerchen bequem gemacht. Das gab ein besonders effektives Bild ab. Die meisten Menschen aber, die in sitzender Stellung starben, kippten oder rutschten von ihren Stühlen – vor allem dann, wenn sie gewaltsam getötet wurden.
Wie er verdreht am Fuße seines Stuhles lag, erinnerte der Ethnologe an einen achtlos weggeworfenen Müllsack. Seinen Hinterkopf mit den noch erstaunlich dichten grauen Haaren verunstaltete eine schwarze Wunde, aus der dickes Blut sickerte. Sofort war Stood um den Schreibtisch gelaufen und drehte den noch warmen Körper vorsichtig auf den Rücken. Große, graue Augen starrten ihn leblos aus dem Schatten hinter dem Schreibtisch heraus an.
Jemand hatte den Forscher getötet, mit einem Schlag auf den Hinterkopf, und die Tat konnte noch nicht lange zurückliegen, einige Minuten höchstens.
Tyron Stoods Herz schlug schneller. Er hatte schon so manches erlebt und auch schon mehr als einmal dem Tod ins Auge gesehen, aber das hier …
Sofort begriff er eines: Dr. Fryers’ Tod musste etwas damit zu tun haben, dass er, Stood, nach ihm gefragt hatte. Alles andere wäre ein zu großer Zufall gewesen. Jemand lebte nicht achtzig Jahre lang, nur um dann zufällig in der Stunde getötet zu werden, in der ein eigens aus den Staaten angereister Abenteurer und Schatzjäger ihn ausfindig machte.
Sein Mund wurde trocken. Aus welchem Grund sollte jemand Fryers töten wollen? Nervös blickte er sich um, sah den Raum mit neuen Augen. Noch einmal beschäftigte er sich mit den auf dem Schreibtisch verstreuten Unterlagen. Es waren eine Menge, an die hundert Seiten, handschriftliche Notizen durchweg. Verbargen sich bedeutungsvolle, riskante Aufschriebe darunter? Und: Waren die Blätter, die jetzt noch hier lagen, alle, die Dr. Fryers vor seinem Tod hier ausgebreitet hatte? Oder hatte der Mörder die wichtigen Sachen bereits verschwinden lassen?
Ein Insekt lief über den Schreibtisch, eine Art Schabe. Sie war unter einem der Papiere hervorgekrochen, vermutlich, weil sie Erschütterungen spürte. Ihr Fluchtweg führte sie direkt auf den Amerikaner zu, und dieser ließ seine Faust herabsausen und zerquetschte sie. Wenn er etwas hasste, dann Getier, das mehr als vier Beine hatte.
Stood hörte ein Geräusch aus dem Nebenzimmer und versteifte sich. Offenbar befand sich noch jemand im Haus. Der Mörder?
Er wollte schon zur Tür hinausstürzen, in den kleinen Flur hinaus, da überlegte er es sich noch einmal anders, raffte die Aufschriebe auf der Tisch zusammen und steckte die dicken Packen unter sein Hemd. Falls er weggelockt werden sollte und der Täter (oder einer der Täter) noch einmal zurückkehrte, durfte er nichts mehr finden. Und auch die Polizei musste diese möglicherweise wichtigen Dokumente nicht unbedingt beschlagnahmen.
Natürlich war es eine lächerliche Tat, nicht viel mehr als eine Geste, denn er hatte keine Ahnung, welche Unterlagen noch in den Schubladen des Schreibtischs oder anderswo im Zimmer versteckt waren. Doch die Zeit, um das ganze Zimmer zu durchsuchen, nahm er sich nicht. So leicht wurde er den Mörder nicht entkommen lassen. Das Einstecken der Dokumente hatte ihn keine fünf Sekunden gekostet. Nun jagte er hinaus, in den
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