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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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sein Zimmer zurückgekehrt war (er fürchtete, sie könne verschwunden sein), lag sie vollkommen entblättert auf dem zerwühlten Bett. Mit angehaltenem Atem schoss er ein einziges Bild von ihr. Ein Bild, das nicht nur ihren perfekten Leib für alle Ewigkeit festhalten sollte, sondern in den Falten des Lakens auch die Erinnerung an die Spiele, die sie miteinander gespielt, die Lust, die sie miteinander gestillt und neu entfacht hatten.
    Sie war perfekt in dem reinen, ungetrübten Licht, das der Morgen durch die großen Fenster schickte.
    Während ihr weißer Leib auf dem Foto allmählich aus dem Dunkel auftauchte, schlüpfte sie in ihre Kleider, und ohne einen Blick auf die Fotografie zu werfen, verabschiedete sie sich mit einer Verbeugung. Sie wirkte ein wenig müde, und ihr Make-up war hastig aufgetragen, aber sie war noch immer eine blendende Schönheit.
    Er sah sie nie wieder. Und die Ewigkeit, für die das Foto bestimmt war, entpuppte sich als ausgesprochen kurz.
    Die Bilder, die diese Art Kamera machte, hielten nicht lange. Eine Reise nach Kolumbien, vier Wochen stumpfsinniges Umherirren in Slums und Urwäldern, vierzig Grad im Schatten, unfreiwillige Bäder in schlammigen Flüssen – solcherlei Strapazen hatten ihrer weißen Haut einen olivgrünen Schimmer verpasst, und diese Veränderung setzte sich fort, bis nach zwei, zweieinhalb Jahren auch die letzten Konturen ihres Körpers verblassten. Das hässliche Grünschwarz, das am Ende vieler Sofortbilder stand, ließ es aussehen, als würde die Liegende in einem modrigen Sumpf verschwinden.
    Ein Dutzend Mal war er drauf und dran gewesen, das nutzlos gewordene Bild in einen der Müllschlucker zu werfen, die ihm in manchen Hotels begegneten. Er hatte es nicht über sich gebracht, so etwas zu tun. Es war, als befände sich die Schöne noch irgendwo auf dem Bild, in dem Bild, unter der Oberfläche des Sumpfes verborgen. Vielleicht würde sie eines Tages wieder auftauchen.
    Die Motorrikscha näherte sich dem Rupsha International von der Westseite. Es hatte mittlerweile ganz zu regnen aufgehört. Tyron Stood stieg aus und folgte der Skizze, die nun in seinem Kopf aufzuweichen begann, wie sie es vorher auf dem Papier getan hatte. Nach Süden, drei Straßen, dann …
    Nach einem Fußweg von nicht einmal zehn Minuten stand er vor dem Haus. Er zuckte die Achseln, als er sah, dass es kein Türschild gab. Natürlich hatte er nicht den Hauch einer Sicherheit, dass der Junge ihm die korrekte Information übermittelt hatte. Andererseits hatte er auch nicht viel investiert.
    Es war ein Reihenhaus, keine Besonderheit hier, wo ohnehin jedes Gebäude an einem anderen klebte. Die bläuliche Wandfarbe blätterte ab. Hätte dieses Haus in der gemäßigten Zone gestanden, hätte Stood geschätzt, dass es seit zwanzig Jahren nicht mehr gestrichen worden war. Hier konnte es auch erst ein paar Monate zurückliegen. Dass die hölzerne Tür nur angelehnt war, war nicht ungewöhnlich für die Stadt.
    Tyron Stood pfiff auf die guten Sitten, sparte sich das Anklopfen oder Rufen und drückte die Tür einfach nach innen auf.
    Ein kahler, irgendwie unfertig wirkender kurzer Gang schloss sich an, weiß getüncht, mit Flecken auf dem Boden. Am Ende des Korridors gab es zwei helle Türen, eine geradeaus, eine nach rechts. Jene, die geradeaus führte, stand zur Hälfte offen, und der Besucher konnte im Zimmer dahinter eine kleine Handvoll europäisch wirkender Möbelstücke ausmachen: eine beigefarbene Couch, einen schweren, reich verzierten Schreibtisch, sogar eine antike Standuhr, eine Grandfather Clock , wie man auf Englisch sagte. Tatsächlich fühlte sich der Amerikaner ein klein wenig an die Wohnung erinnert, die sein eigener Großvater bewohnt hatte, und beinahe erwartete er, den weißhaarigen Herrn mit dem Jagdtick hinter dem Schreibtisch sitzen zu sehen, wie er ihn als Kind immer gesehen hatte, wenn Großmutter dem Jungen erlaubte, den stets vielbeschäftigten alten Knaben zu stören.
    Doch am Schreibtisch saß niemand. Diesmal klopfte Stood. Niemand reagierte darauf.
    Vielleicht war der betagte Wissenschaftler eingenickt oder schwerhörig. Nach seinen Informationen musste es sich bei Dr. Fryers um einen Mann um die Achtzig handeln.
    Stood betrat das Zimmer. An der Wand fehlten die Jagdtrophäen – nur ein paar Fotografien von Dörfern hingen dort. Offenbar war Dr. Fryers kein passionierter Jäger wie Stoods Großvater … und sein Vater … und letztlich er selbst. Eine Regalwand trug

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