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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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über den Boden, bunt gemusterte Schlangen ließen sich von den Bäumen herab und tauchten ins Wasser. Immer wieder wurden die beiden Eindringlinge von dem plötzlichen Kreischen der Rhesusaffen erschreckt.
    Stoods Stimmung schwankte. „Ich kann mir schwer vorstellen, dass wir in diesem Sumpf auf einen Tunnel stoßen werden“, murrte er. Damit spielte er auf den Begriff „Himmelstunnel“ aus den Dokumenten des Briten an.
    „Vielleicht ist es kein Tunnel, sondern ein Gang in einem Gebäude. Es könnte einen Tempel geben.“ Siti hatte ihr feminines Gewand gegen Hosen und eine langärmelige Bluse ausgetauscht. Ihr beinahe schwarzes Gesicht wirkte sehr angespannt unter dem westlichen Hut, den sie trug. Einmal erlegte sie mit ihrem Messer eine Schlange, die ihnen zu nahe kam. Als Stood den sich windenden Kadaver betrachtete, wusste er nicht, ob er erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Der Hieb seiner Begleiterin hatte den Körper der Schlange präzise hinter dem Kopf abgetrennt, als täte sie ihr Leben lang nichts anderes.
    „Nicht schlecht für eine Buchhändlerin“, bemerkte er mit einem unsicheren Grinsen.
    „Bücher und Schlangen beißen, wenn man sie lässt“, orakelte sie.
    Am Nachmittag erwartete sie ein dramatisches Erlebnis. Stood hatte selbstverständlich von den bengalischen Königstigern gehört, von denen noch ein halbes Tausend in den Sundarbans umherschlich. Dass ausgerechnet sie einem begegnen würden, hätte er sich nicht träumen lassen, auch, weil es ihm schwer fiel, sich einen Tiger vorzustellen, der freiwillig durch diesen Schlammpfuhl watete.
    In diesem Punkt irrte er. Nahrung gab es reichlich in diesen nicht nur von Fäulnis beherrschten Gebieten. Als das Tier sich in fünfzig Meter Entfernung aus dem flachen Wasser erhob, hatte es nichts mit den Tigern zu tun, die man auf Fotos gezeigt bekam. Die Bestie war eine graue, mit Schlick behangene Masse, die mit reptilienhafter Langsamkeit aus dem Sumpf stieg. Lediglich die obere Hälfte des Kopfes war trocken, und dort glomm die charakteristische Zeichnung hervor, nicht in leuchtenden Farben, sondern von einem Schleier aus staubigem Grau verhüllt. Stood verfolgte das Schauspiel wie ein geheimnisvolles Bilderrätsel, und erst, als Siti ihn anstieß, begriff er die Gefahr.
    Schlamm tropfte von der Schnauze des Tigers, und das Tier nahm die Witterung auf. Der Wind stand aus der Sicht der beiden Menschen nicht sehr günstig. Die Bewegungen der Bestie wurden behänder, fließender. Mit einem klatschenden Geräusch hievte sie ihren schweren, nassen Leib aus dem Morast und verharrte dann für einen Augenblick auf dem festen Untergrund.
    Keine Bewegung war ringsum zu sehen, und die Schreie der Vögel und Affen drangen nur noch aus weiter Ferne heran. Alle Tiere in der Umgebung schienen die Luft anzuhalten.
    Tyron Stood zerrte seinen Revolver hervor. Er hatte zwar noch das Buschmesser, aber auf einen Nahkampf mit einem solchen Monstrum durfte er sich unter keinen Umständen einlassen.
    „Willst du einen Königstiger erschießen?“, flüsterte Siti. Ihre Stimme und Miene waren vollkommen ausdruckslos und verrieten nicht, ob die Frage anklagend gemeint war.
    Stood fasste sie dennoch so auf. „Hast du eine Alternative?“
    Siti antwortete nicht. Sie schien sich auf das Tier zu konzentrieren. „Ruhig“, wisperte sie. „Wir dürfen weder fliehen noch auf ihn zugehen. Es kann sein, dass er uns gehen lässt. Vielleicht hat er gefressen.“
    Der Amerikaner hob den Revolver und zielte.
    In diesem Moment setzte der Tiger sich in Bewegung. Zunächst schien es, als würde er weggehen. Er trottete einige Meter zur Seite, scheinbar desinteressiert, behielt die Menschen jedoch im Auge. Stood folgte ihm mit der Mündung der Waffe. Seine Unterlippe verschwand zwischen seinen Zähnen.
    Der Tiger sprang. Zuerst nur parallel zu ihnen, dann änderte er blitzschnell die Richtung und jagte mit gewaltigen Sätzen in einem Bogen auf sie zu. Stood fluchte, zielte und feuerte. Das Geschoss pfiff und bohrte sich in einen Baumstamm. Der Mann erkannte jetzt, warum das Raubtier nicht geradewegs auf sie zugekommen war. Es hätte keine Deckung gehabt. Wo es jetzt war, konnte es sich seiner Beute in einem schnellen Zickzack nähern. Der Abenteurer war überwältigt von so viel strategischer Intelligenz.
    Der Tiger hatte die Hälfte der Distanz zurückgelegt, als Stood ein zweites Mal abdrückte. Obwohl er sich einbildete, diesmal besser gezielt zu haben, verfehlte der Schuss

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