Zimmer Nr. 10
Spielplatz, es war ein Gefühl, als käme er aus dem Wald zurück zu einem vertrauten Ort.
Im Hauseingang spürte er den Wind, genau wie beim letzten Mal, als er hier gewesen war. Er erinnerte sich daran. Der Wind blieb auch, als die Haustür hinter ihm zuschlug, zog treppauf, treppab wie ein unseliger Geist.
Er klingelte an der Tür. Auf dem Namensschild stand Metzer, kein Vorname. Er klingelte noch einmal. Dort drinnen schrillte ein Klingelton, der aus der Vergangenheit übrig geblieben war. Winter hatte sein Kommen nicht angekündigt. Vielleicht war Metzer nicht zu Hause.
Die Tür wurde zehn Zentimeter weit geöffnet.
»Herr Metzer? Anton Metzer?«
Winter sah ein Paar Augen, den Teil einer Stirn. Dunkle Haare.
»Ja?«
Winter stellte sich vor. »Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«
»Warum?«
»Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Um was geht es?«
»Darf ich hereinkommen?«
Die Tür wurde geöffnet. Der Mann trat ein paar Schritte zurück. Er trug ein weißes Hemd und eine braune Hose, die aus Gabardine zu sein schien. Die Pantoffeln an seinen Füßen sahen bequem aus. Im Flur roch es nach Essen, einem späten Abendessen. Winter hörte Stimmen von drinnen, einen Fernseher. Auf einem kleinen Tisch im Flur stand ein altmodisches Telefon mit Wählscheibe.
»Ja … dann kommen Sie also herein«, sagte Metzer mit einer einladenden Handbewegung.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Im Fernseher lief eine Talkshow, Leute saßen einander gegenüber, und Winter hörte eine erregte Stimme sagen: »Das war das Dämlichste, was ich je gehört habe.« Die Stimme gehörte zu einer Frau mit üppiger Haartracht. Im Fernsehen wurde immer viel Unsinn geredet, aber nur wenige wagten es, das in der Glotze selbst anzuprangern. Bevor sich der Angegriffene verteidigen konnte, stellte Metzer die Diskussion mit einem Knopfdruck ab.
Winter erklärte sein Anliegen.
»Das ist ja schon lange her«, sagte Metzer.
Winter nickte.
»An Sie kann ich mich nicht erinnern«, sagte Metzer nachdenklich.
»Damals hat mein Kollege mit Ihnen gesprochen.«
»Ach so.«
»Kannten Sie Martinssons?«
»Nein, nein. Ich hab nie ein Wort mit ihnen gewechselt.«
»Aber Sie haben sich Sorgen gemacht, als Sie an ihrer Tür vorbeikamen?«
»Ja.«
»Wie hat sich das angehört?«
»Als ob jemand umgebracht würde.«
»Haben Sie so was schon mal gehört?«
»Hier? Nein.«
»Haben Sie hinterher mit Martinssons gesprochen? Einem von ihnen?«
»Nein. Warum sollte ich?« Metzer änderte seine Haltung auf dem Sofa. »Und die sind ja auch ein paar Wochen später ausgezogen, vielleicht sogar noch eher.«
Winter nickte.
»Ich hab mir Sorgen gemacht. Deswegen hab ich bei der Polizei angerufen.«
»Wen wollten Sie an jenem Abend besuchen?«, fragte Winter.
»Einen Bekannten, der in dem Haus wohnt. Das hab ich doch gesagt?«
»Ja.«
»Na also.«
Winter las den Namen von seinem Block ab. Er konnte sich daran erinnern, benutzte aber trotzdem den Block. Es würde so aussehen, als hätte er seine Hausaufgaben gemacht, sich vorbereitet. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, als sei er rein zufällig mal eben hereingeschneit.
»Er war nicht zu Hause, oder?«
»Nein.«
»Dann haben Sie an dem Abend also an seiner Tür geklingelt?«
»Ja … das hab ich wohl.«
»Sie wissen es nicht mehr?«
»Nein … Es steht bestimmt in meiner Zeugenaussage oder wie das nun heißt.«
»Darin steht, dass Sie ihn nicht angetroffen haben.«
»Dann muss es wohl so gewesen sein.«
Metzer lächelte Winter zögernd an. Durch sein Gesicht zog sich von der einen Schläfe bis zur Wange eine Linie. Sie sah aus wie die Narbe von einem Säbelhieb. Metzer. Er war deutscher Herkunft.
»Eigentlich … war es nicht er, den ich besuchen wollte«, sagte Metzer nach einer Weile.
»Wie bitte?«
»An der Tür stand sein Name, aber er wohnte nicht dort.«
Winter nickte. Er spürte ein leises Kribbeln auf der Kopfhaut. Sein Körper reagierte. Ohne Vorwarnung.
Erzähl es, bitte, Anton.
»Die Wohnung war an eine Frau und ihre Tochter untervermietet, nicht sehr lange.«
»Aha.«
»Sie haben nur einen Monat oder so dort gewohnt.« Er verstummte.
»Ja?«, sagte Winter.
»Ich hab mich mit der Frau auf dem Hof unterhalten. Und dem Mädchen. Und ich … hab ihnen ein bisschen geholfen. Sie brauchten Hilfe. Zwischen uns, der Mutter und mir, war nichts, so war das nicht. Dafür war ich damals schon zu alt. Aber sie haben mir Leid getan.«
»Warum?«
»Ich weiß es
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