Zimmer Nr. 10
Namen einmal genannt.«
»Haben Sie die beiden mal besucht? Waren Sie in ihrer Wohnung?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Es hat sich nicht ergeben. Die Zeit war zu kurz, um sich näher kennen zu lernen.« Sie sah sich in der Küche um. »Und sie waren auch nie bei uns.« Plötzlich starrte sie den leeren Stuhl neben Winter an, als würde er sie an etwas erinnern.
»Ach, vielleicht war das Mädchen doch mal hier.«
»Gehörte sonst noch jemand zu der Familie?«
»Nicht soweit ich weiß. Ich hab niemanden gesehen. Sie hat nie von einem Mann gesprochen.«
Plötzlich schien ihr das Reden schwerzufallen. Vielleicht hatte er sie an etwas erinnert, woran sie nicht denken oder worüber sie nicht sprechen wollte.
»Warum fragen Sie nach ihr? Nach ihnen? Was hat das mit … dem Mord zu tun?«
»Es geht um den betreffenden Abend«, sagte Winter, »als wir hierher gerufen wurden. Wegen des Lärms in der Wohnung der Martinssons.«
»Ich erinnere mich, dass Sie mich damals danach gefragt haben. Ich glaube, ich habe alles erzählt, was ich über die Martinssons wusste. Es war nicht viel, das weiß ich noch.«
Winter nickte.
»Aber was hat das überhaupt alles mit diesem Lärm zu tun? Oder mit der Mutter und der Tochter?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Winter. »Wahrscheinlich nichts.«
»Und was haben wir damit zu tun?«, fragte sie weiter.
»Außer dass Jonas offenbar einige Worte mit der Frau gewechselt hat, die … gestorben ist.«
»Was ist aus ihnen geworden, der Mutter und der Tochter?«, fragte Winter, ohne auf Anne Sandlers Frage einzugehen. »Wissen Sie das? Wohin sind sie gezogen?«
»Keine Ahnung. Eines Tages waren sie eben weg.«
»Hat die Mutter Ihnen vorher nichts gesagt?«
»Nein.«
»Oder das Mädchen. Hat sie Jonas nichts erzählt?«
»Nein. Ich hab ihn gefragt, aber er hat nur gesagt, dass sie weg seien.« Anne Sandlers Blick wanderte zu dem französischen Balkon. Sie sah, was Winter sah: einen schwach beleuchteten Spielplatz. Das Licht der Straßenlaterne hinterließ gelbe Schatten. Die Schaukeln. Eine Art Klettergerüst. Hinter dem Gerüst erhob sich eine Rutsche.
»Er war traurig, dass sie einfach verschwunden ist, ohne sich zu verabschieden«, sagte Anne Sandler.
Als Winter nach zehn über die Brücke zurückfuhr, rief Mario Ney auf seinem Handy an. Es herrschte wenig Verkehr. In Höhe der Festung Älvborg tauchte eine Fähre auf. Es war ein klarer Abend.
»Wissen Sie was Neues?«, fragte Ney. »Ist Elisabeth irgendwo gesehen worden?«
»Noch nicht«, sagte Winter.
»Jemand muss sie doch gesehen haben.«
»Wo sind Sie, Herr Ney?«
»Ich bin zu Hause und sitze am Telefon. Vielleicht ruft sie ja an. Oder jemand anders. Sie zum Beispiel. Sie haben gesagt, Sie würden mich anrufen.«
»Das wollte ich heute Abend noch tun.«
»Das sagen Sie nur so.«
Aus dem Augenwinkel verfolgte Winter die Fähre. Ein schwimmendes zehnstöckiges Haus, das in seiner eigenen Beleuchtung badete. Einer Festbeleuchtung. Langsam glitt die Fähre in den Hafen.
»Wie lange wohnen Sie schon in der Wohnung in Tynnered, Herr Ney?«
»Was? Warum wollen Sie das wissen?«
»Wie lange haben Sie diese Wohnung schon?«, wiederholte Winter.
»Die Wohn… Tja, die haben wir schon lange. Als wir einzogen, war Paula noch ganz klein. Wieso?«
»Wie klein?«
»Was soll das? Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wie alt war Paula, als Sie dort einzogen?«
Winter hörte, wie Ney sich etwas in den Bart murmelte.
Winter wiederholte seine Frage.
»Fünf«, sagte Ney. »Sie war fünf.«
Die Laken lagen im dritten Regal rechts. Um an sie heranzukommen, musste sich die Putzfrau erst an einem anderen Regal vorbeidrücken und dann, dem Verlauf der Wand folgend, nach rechts gehen. Eigentlich bestand die Wäschekammer aus zwei Kammern.
Was die Putzfrau auf dem Arm gehabt hatte, lag nun dort auf dem Fußboden, wo sie es hatte fallen lassen. Sie hatte geschrien, so laut, dass es draußen auf der Treppe und in den Stockwerken über und unter ihr zu hören war.
In der ersten Minute konnte sie sich nicht rühren, hatte nur dagestanden und geschrien, einen langen gellenden Schrei.
Elisabeth Neys Körper lag auf einer Schicht blendend weißer Laken. Fast alles war blendend weiß in der Kammer.
Winter versuchte alles gleichzeitig zu erfassen.
Er war als Erster hier.
Einer der Hoteldirektoren hatte auf den Alarmknopf gedrückt, und drei Kollegen hatten vor der Tür auf Winter gewartet. Bertil Ringmar war mit Aneta Djanali unterwegs
Weitere Kostenlose Bücher