Zimmer Nr. 10
Treppe.
Halders stürmte geradewegs in die Wäschekammer. Der Arzt war kurz vor ihm eingetroffen. Winter kannte ihn noch nicht. Er war jung, vielleicht zehn Jahre jünger als Winter. Er musste tief durchatmen, bevor er eintrat. Winter hatte einige Worte mit ihm gewechselt.
Halders kam wieder heraus. »Wollen wir dann fahren?«
Mario Ney erwartete sie in seiner Wohnung. Winter hatte einen Wagen vom Frölundarevier angefordert. Halders fuhr durch den Tingststadstunnel. Die Stimmen im Funk klangen plötzlich anders, als redeten sie eine andere Sprache.
Winter war noch nie gern durch Tunnel gefahren. Einmal war er in der Schweiz in einem kilometerlangen Tunnel im Stau stecken geblieben, das war kein schönes Erlebnis gewesen. Eine Frau mit Klaustrophobie in einem Auto weiter vorn war durchgedreht und über die Autodächer dem Licht und der Freiheit entgegengerannt. Endlich draußen, hatte Winter auf dem nächsten Rastplatz gehalten, hatte die Beine fest in den sicheren Boden gestemmt und so viel Luft eingesogen, wie er nur konnte, frisch oder nicht. Es war ein Gefühl, als wäre er aus einer großen Höhe herabgestiegen.
»Es sieht nicht danach aus, als wäre der Mord schon länger her«, begann Halders.
»Warten wir ab, was der Arzt herausfindet.«
»Den kannte ich noch gar nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Wie hat Mario Ney reagiert?«
»Ich habe es ihm noch nicht gesagt.«
»Hat er nicht gefragt, warum du ihn treffen willst?«
»Dafür hab ich ihm keine Zeit gelassen«, antwortete Winter.
»Ich glaube nicht, dass es derselbe Mörder ist«, sagte Halders. »Das ist meine Meinung.«
Er bog von der Umgehungsstraße ab. In einem Kilometer Entfernung ragten die grauen Hochhäuser in Västra Frölunda wie Bauklötze in den Himmel. Ein Bauprojekt, das in die Hose gegangen war. Heute war alles grau. Grau ist eine weitere Nuance von weiß.
»Es handelt sich allenfalls um dasselbe Motiv«, fuhr Halders fort.
»Und was wäre das?«, fragte Winter.
»Vielleicht gibt es auch gar keins«, sagte Halders. »Vielleicht existiert es nur im Kopf der Mörder.«
»Des Mörders«, sagte Winter. »Es ist ein und derselbe.«
Halders parkte auf einem der leeren Parkplätze unterhalb der Mietskasernen. Winter stieg aus. Es war einige Zeit her, dass er zuletzt hier gewesen war. Er hätte nie geglaubt, mit dieser Botschaft zurückkommen zu müssen.
»Wird er gewalttätig werden?«, fragte Halders.
»Ich weiß es nicht, Fredrik.«
»Er hat uns schon mal beschuldigt, jetzt hat er noch mehr Grund dazu.«
Winter nickte. Er hatte die Entscheidung getroffen, Elisabeth Ney ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Und sie nicht unter Bewachung zu stellen. Er hatte sie nicht beschützt. Vielleicht hatte er nicht vorausschauend genug gehandelt. Wie weit kann man vorausschauen? Bis zum nächsten Mord? Wo ist die Grenze, oder musste man noch weiter denken? Sie kamen am Spielplatz vorbei. Er war größer als oben auf Hisingen. Es gab mehrere Schaukeln. Unwillkürlich dachte Winter wieder an den Jungen und das Mädchen. Sie hatten nach Leuten gesucht, die eine Wohnung aus zweiter Hand von einem Mann gemietet hatten, dessen Namen Winter nicht kannte. Doch die meisten waren schon von dort weggezogen, es war ein Durchgangslager. Konnte man es so nennen? Die meisten zogen weiter, nur Metzer und Anne, die Mutter des Jungen, waren geblieben.
Eine der Schaukeln bewegte sich im Wind, nur eine, als ob auch hier ein unsichtbares Kind schaukelte.
Paula hat auf dieser Schaukel gesessen, schoss es Winter durch den Kopf.
»Die Jungs halten die Stellung«, sagte Halders mit Blick auf den Streifenwagen vor der Tür. »Sie haben sich nicht gemeldet, also ist wohl alles ruhig«, fuhr er fort.
Winter schaute zu den Fenstern, die zur Wohnung von Familie Ney gehörten. Es waren drei Fenster, er erinnerte sich, dass es drei Fenster zum Hof gab. Zu dieser Familie hatten drei Menschen gehört. Plötzlich sah er ein Gesicht am mittleren der dunklen Fenster. Das Gesicht war weiß wie ein Schatten.
23
Um was zum Teufel geht es jetzt schon wieder?!« Mario Ney war im Hausflur, die beiden Polizisten aus Frölunda wie Leibwachen in Uniform neben sich. »Was ist passiert?!«
»Dürfen wir hereinkommen?«, fragte Winter.
Ney drehte sich heftig um, als wollte er sich überzeugen, dass die Tür noch da war und er vor seiner eigenen Wohnung stand. »Es geht um Elisabeth, nicht wahr? Ist ihr etwas passiert? Wo ist sie?«
»Herr Ney …« Winter streckte eine Hand aus,
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