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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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der Wäschekammer, in der sie Elisabeth Ney gefunden hatten, war noch feucht gewesen. Auch die Wäsche- und Besenkammern wurden geputzt. Die Putzfrau musste kurz vor dem Mord im Raum gewesen sein. Herr im Himmel, er muss dort gewartet haben. Mit ihr? Wie hatte er es geschafft, es zeitlich so abzustimmen? Winter schaute wieder auf die Uhr, fast Mitternacht. Die Kinder schliefen. Elsa war vor einer Stunde von ihrem eigenen Schnarchen aufgewacht. Die Polypen. Bald würde sie operiert werden, aber den Gedanken schob er beiseite. Für Angela war das leichter. Sie war Ärztin und wusste, was schief gehen konnte, verlor jedoch kein Wort darüber. Vielleicht dachte sie nicht einmal daran. Ärzte hatten eine etwas zwanghafte Einstellung zu den Dingen, es passiert schon nichts, schon gar nicht in der eigenen Familie. Elsa wird okay sein, wenn wir im Flugzeug nach Málaga sitzen. Würde er auch okay sein? Dabei sein?
    »Willst du nicht schlafen gehen, Erik?«
    Er hob den Blick vom Whiskyglas. Der Alkohol hatte eine hübsche Farbe, wenn das Licht direkt hindurchfiel.
    »Komm, setz dich zu mir.« Er rutschte auf dem Sofa ein Stück zur Seite.
    Sie blieb an der Tür stehen und gähnte ausgiebig. »Ich hol mir nur ein Glas Wasser.«
    Er hörte in der Küche Wasser laufen. Unten auf dem Vasaplatsen fuhr ein Auto. Der heisere Protest einiger Dohlen, die im Ahorn nisteten. Bald würde die letzte Straßenbahn vorbeirasseln, und die Menschen würden zur Ruhe gehen.
    Angela kam mit dem Glas in der Hand zurück.
    »Komm her.« Er breitete die Arme aus.
    »Hier riecht es wie in einer Destille«, sagte sie.
    »Ja, ist das nicht herrlich?«
    »Musst du morgen arbeiten?«
    »Ich arbeite jetzt.«
    Sie kuschelte sich an ihn.
    Winter stellte das Glas ab und zog sie noch näher an sich.
    »Friert dich?«
    »Nicht mehr lange.«
    »Du riechst nach Schlaf«, sagte er.
    »Wie riecht das?«
    »Unschuldig«, antwortete er.
    »Ja, ich bin unschuldig.«
    »Ich weiß, dass du das bist, Angela.«
    »Unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wird.«
    »Hier sind keine Beweise nötig.«
    »Mhm.«
    »Und die sind auch nicht nötig«, sagte er und öffnete den obersten Knopf ihres Nachthemdes und dann die anderen.
    Er träumte von zwei Kindern, die in perfekter Symmetrie schaukelten, während er daneben stand. Die Schaukeln hatten kein Gestell, sie flogen frei durch die Luft, das Gesetz der Schwerkraft schien außer Kraft gesetzt. Dies ist ein gesetzloses Land, dachte er. Die Kinder lachten. Ihre Gesichter konnte er nicht erkennen. Sie lachten wieder. Er wurde wach, kämpfte dagegen an, es war ein unfreiwilliges Erwachen. Eines der Kinder hatte etwas zu ihm gesagt, kurz bevor er sie verließ. Er wollte zu ihnen zurück, um deutlicher zu hören, bis er meinte verstanden zu haben. Jetzt konnte er sich an nichts erinnern.
    Winter stellte die Füße auf den Boden. Das Holz war weich und warm. Angela bewegte sich hinter ihm im Bett und murmelte etwas. Vielleicht träumte sie. Er tappte ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Draußen war es dunkel und still, Dämmerstunde. Morgen war der erste November. Der Norden ging der Dämmerung entgegen. Sie würde bis ins nächste Jahr anhalten. Der barmherzige Schnee wurde meistens an dieser Stadt vorbei weiter landeinwärts getrieben. Hier blieb nur der graue Winter, in dem sich eigentlich nichts verbergen lassen sollte. Da war nichts, was es bedeckte. Und doch blieb so viel verborgen. Nahezu alles. Heute Nacht wurde nicht mehr viel aus Schlafen. Es würde überhaupt nicht mehr viel aus Schlafen, bevor dies nicht vorbei war. Wann ist es vorbei?, hatte Angela kurz vorm Einschlafen gefragt. Ohne eine Antwort zu erwarten. Sie planten die unmittelbare Zukunft, und sie sagte nichts, da auch er nichts sagte. Er sagte nicht, dass er vielleicht nachkommen würde. Dass er den Winter verließ, grün, weiß, grau, dass er jedoch vielleicht später kommen würde. Dass er noch etwas zu erledigen hatte. Jemanden treffen musste.
    Plötzlich begann Lilly zu schreien. Noch ein Traum heute Nacht, ein unheimlicher. Es war ein paar Mal vorgekommen. Er fragte sich, was sie träumte. Was war so unheimlich in ihrem Leben, ihrem Traumleben? Wovon fühlte sich ein so kleiner Mensch bedroht? Wem war es erlaubt, ein so kleines Wesen zu bedrohen?
    Er stand auf, ging rasch zu ihr und hob sie hoch. Er spürte ihre Tränen auf seinen Wangen. »Ist ja gut, mein Herz.«
    Sie verstummte, schniefte, und er trug sie ins Wohnzimmer. Sie wog nichts, eine

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