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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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zugenommen, die Scheinwerfer erhellten die Tunnelwände, die im Dunkeln besser aussahen.
    Mario Ney hatte seine Mithilfe verweigert. Sollen wir Ihnen jemanden schicken, mit dem Sie reden können, hatte Winter ihm angeboten. Wenn Sie hier bleiben wollen.
    »Ich will allein sein«, hatte Ney gesagt.
    Es war eine schwierige Situation. Sie könnten ihn sechs Stunden festhalten und noch sechs weitere Stunden, wenn nur der geringste Verdacht gegen ihn bestand. War das der Fall? Da war der Blutfleck an dem Strick um Paulas Hals. Den Hals der Tochter. Es war ein Tropfen Blut von ihr gewesen. Sie hatten keine Probe von ihm genommen. Von niemandem. Winter hoffte, dass die neuen Analysen durch das Kriminaltechnische Labor etwas ergeben würden. Einen Speicheltropfen an dem Strick, der um Elisabeth Neys Hals geschlungen war. Bald würden sie es wissen. Und er würde Mario Ney höflich um eine DNA-Probe bitten. Ein einfacher Test, mit einem Wattestäbchen über das Zahnfleisch gefahren. Etwas zum Vergleichen.
    Sie verließen den Tunnel. Der Oktobernachmittag war in den Abend übergegangen. Die Straßenbeleuchtung brannte schon.
    »Wir hätten ihn nicht allein lassen sollen«, sagte Halders.
    »Ich weiß.«
    »Schickst du ihm jemanden?«
    »Lass mich eine Minute nachdenken.«
    Halders fuhr durch den Kreisverkehr und bog auf die Umgehungsstraße. Der Fluss tauchte auf. Ein Handelsschiff glitt in den Hafen. Trotz der großen Entfernung meinte Winter, Menschen an Deck erkennen zu können.
    »Die Minute ist um«, sagte Halders.
    »Da war etwas an seiner Reaktion, das mich stutzig gemacht hat«, sagte Winter.
    »Hat er nicht genügend Trauer gezeigt?« Halders warf Winter einen Blick zu. »Oder zu viel?«
    »Was für einen Eindruck hast du denn?«
    »Ich hab schon zu viele derartige Reaktionen gesehen«, sagte Halders. »Das kann ich erst entscheiden, wenn ich ihn morgen noch einmal treffe. Trauer zeigt sich auf tausend verschiedene Arten. Reaktion, verzögerte Reaktion. Schock. Das weißt du selbst.«
    Winter nickte.
    »Bald meldet er sich und stellt seine Fragen«, sagte Halders.
    »Wir haben selbst genug.« Winter änderte seine Sitzhaltung. Das Armaturenbrett drückte an seine Knie. »Eine Mutter und eine Tochter wurden ermordet.«
    »Da besteht auf jeden Fall ein Zusammenhang«, sagte Halders.
    »Verstehst du das unter Galgenhumor?«
    »Nein.«
    Sie fuhren am Stena-Terminal vorbei. Die Autoschlange vor der Fähre war lang. Von den Fernlastern stiegen Abgaswolken auf.
    »Wir haben versucht, uns ein Bild von Paulas früherem Leben zu machen«, sagte Winter nach einer Weile. »Aber wir sind nicht weit gekommen. Wahrscheinlich reicht Paulas Vergangenheit allein nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ihre Mutter. Elisabeth. Wir müssen auch in ihrer Vergangenheit suchen.«
    Halders murmelte etwas, das Winter nicht verstand.
    »Was hast du gesagt?«
    »Bald bewegen wir uns mehr rückwärts als vorwärts in diesem Fall. Diesen Fällen.«
    »Das ist doch nicht das erste Mal, oder?«, fragte Winter.
    Halders antwortete nicht.
    »In der Vergangenheit dieser Familie«, begann Winter. »Da ist irgendwas, und wir kommen nicht heran. Ein großes Geheimnis.«
    Halders nickte.
    »Ein großes Geheimnis«, wiederholte Winter.
    »Vielleicht nicht nur eines«, sagte Halders.
    Winter brauchte sich die weiße Hand nicht erst vorzunehmen, um sie betrachten zu können. Er hatte sie vor Augen, allerdings nicht so wie Ringmar; ihm winkte sie nicht. Sie war geschlossen, wirkte erstarrt. Wie etwas, das er nicht öffnen konnte. Wie die Hand einer Statue.
    Er saß zu Hause mit einem Glas Whisky. Das Fragment einer Statue. Und was haben wir? Die Hand eines Körpers. Es ist genau umgekehrt. Was sieht man, wenn man eine antike Statue betrachtet? Einen Körper, einen Torso. Keinen Kopf. Keine Hände. Hier ist es also umgekehrt. Eine Hand. Kein Torso. Da stimmt was nicht.
    Elisabeth Neys rechter Mittelfinger war weiß angemalt worden. Der rechte Mittelfinger. Eine Farbdose hatten sie in der Wäschekammer nicht gefunden.
    Nur ein weißer Finger. Keine ganze Hand.
    Winter schaute auf die Uhr. Jetzt war jemand bei Ney. Vielleicht brauchte er Hilfe in der Nacht. Müsste rauf in die Notaufnahme. Vielleicht in dasselbe Zimmer.
    Winter nahm einen Schluck von dem Glenfarclas. Er war eingehüllt in den Whiskyduft. Es war ein gutes Aroma, das für das Gute auf der Welt stand. Für das Leben. Das Wort Whisky stammte vom gälischen usquebaugh. Das Wasser des Lebens. Der Fußboden

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