Zimmer Nr. 10
auf seinem Sockel mit dem Finger auf sie. Nicht wie ein richtiger Kämpe. Ein Soldat zeigt mit der ganzen Hand.
Der Wind trug Laub über den Platz, Zeitungsseiten, rotes und goldenes Einschlagpapier. Bald würde hier der Tannenbaum aufgerichtet werden. Dann würde überall Geschenkpapier herumliegen. Alle artigen Kinder würden etwas bekommen und die unartigen auch. In den Häusern würden Kerzen brennen. Winter hatte die alljährliche Einladung in das Haus seiner Eltern in Nueva Andalucía bekommen, und er würde wie alle Jahre wieder absagen. Lotta würde mit ihren Töchtern hinfahren. Seine Schwester brauchte das. Dort konnte sie ihre frisch geschiedenen Zehen ins Mittelmeer tauchen und ein bisschen zu vergessen suchen. Er würde arbeiten. Das war besser, als Heiligabend auf das mit Gold behängte Guldheden zu starren, sich im Radio Weihnachtslieder anzuhören und sich selbst zuzuprosten. Im Radio kam sowieso nichts Gutes. Er hatte Freunde, aber die meisten hatten inzwischen eine Familie und wollten nicht gestört werden. Mensch, Erik, du störst doch nicht. Ich arbeite jedenfalls.
»Wollen wir eine Kleinigkeit essen?« Ringmar zeigte mit der ganzen Hand auf die Östra Hamngatan.
»Warum nicht?«
Das war noch etwas, das er gelernt und zu schätzen gelernt hatte. Manchmal verließen sie das Präsidium und führten ihre Gespräche in den Cafés der Stadt fort, manchmal auch in einer Bar, wenn der Arbeitstag offiziell vorbei war. Sich unter Menschen aufzuhalten, gewöhnlichen Leuten, vermittelte ein Gefühl für die Realität, das man bei dieser Arbeit sonst leicht verlieren konnte. Schließlich waren alle anormal, unnormal, Verbrecher, Verrückte. Täter. Opfer. Und dazwischen gab es nichts. Einen Tag als Kriminalpolizist oder überhaupt als Polizist zu verbringen bedeutete fast immer eine seltsame Reise. Eine erschreckende. Das war nichts für Durchschnittstypen.
Eine Tasse Kaffee und ein Kopenhagener boten Trost.
Sie überquerten die Straße und betraten das Café.
Die Schlange vor dem Tresen war lang.
»Wir suchen uns ein anderes Café«, sagte Ringmar.
In dem Augenblick wurde ein Tisch an einem der großen Fenster zur Straße frei. Durch die Scheibe sah Winter, dass es wieder angefangen hatte zu gießen. Aprilwetter im November.
»Wir nehmen den Tisch da«, sagte Winter. »Ich stell mich an. Was möchtest du haben?«
»Kaffee ohne Milch, zwei Stückchen Zucker, eine Holländer Schnitte, ein Glas Wasser.«
»Mehr nicht?«
»Hau ab, Junge, ehe die Schlange noch länger wird.«
Aber sie war kürzer geworden, als hätten sich einige in der Schlange in Luft aufgelöst. Langsam bewegte sie sich vorwärts. Schließlich war er an der Reihe und gab seine Bestellung auf. Das Mädchen hinterm Tresen legte Bertils Holländer Schnitte auf einen Teller und drehte sich wieder zu ihm um.
»Die Windbeutel sind eben aus.«
»Au, au, au.«
»Tut mir Leid«, sagte sie, und Winter folgte ihrem Blick zu dem Teller mit dem letzten Windbeutel. Er stand auf dem Tablett vor ihm. Winter hob den Blick und begegnete einem Paar grüner Augen.
»Wenn es so wehtut, können Sie ihn haben«, sagte die Frau in der Schlange vor ihm. »Ich hab offenbar den letzten bekommen.«
»Nein, nein.«
Irgendwo um ihre Mundwinkel spielte ein Lächeln, und Winter kam sich selten dämlich vor. Sie war verdammt hübsch, ein paar Jahre jünger als er, vielleicht vier, fünf Jahre. Ihre Haare waren braun wie Gold.
»Ob Windbeutel oder nicht, das ist mir nicht so wichtig«, fuhr sie fort. »Ich hätte genauso gut was anderes bestellen können.«
Das Mädchen hinter dem Tresen verfolgte interessiert das Gespräch. In Winters Rücken warteten die Leute in der Schlange, aber das schien im Augenblick nicht wichtig zu sein. Trotzdem musste er sich entscheiden, damit der normale Ablauf weitergehen konnte.
»Nehmen Sie ihn schon«, sagte die Frau mit den grünen Augen. »Ich hab ihn noch nicht angerührt.«
»A… aber ich muss doch bezahlen.« Ihm war bewusst, dass er dummes Zeug redete. »Ich ha…«
»Ich nehm stattdessen so eine«, unterbrach sie ihn und deutete auf Ringmars Holländer Schnitte.
Okay, okay, dachte Winter. Auf die Art komme ich hoffentlich am schnellsten aus der Sache raus. Er warf einen Blick hinüber zum Fenster. Ringmar hob die Augenbrauen.
»Die ist teurer«, sagte das Mädchen an der Kasse, das die Szene auch amüsant zu finden schien. »Die Holländer Schnitte ist teurer.«
Winter hatte einen trockenen Hals. Einen
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