Zimmer Nr. 10
roch den Alkohol vom Vorabend in seinem frischen Zahnpasta-Atem. In seinen Augen war etwas, das zeigte, dass der Kollege alles andere als ein Morgenmensch war.
»Wir haben für heute weder Schuhputzer noch Fensterputzer bestellt.« Der Kollege lächelte wieder sein Lächeln und versetzte Winter einen Stoß gegen die Schulter, und Winter versetzte ihm einen Schlag an die Stelle, wo es am meisten wehtat.
»So was hab ich noch nie erlebt!«
Winter starrte geradewegs in ein Gesicht, das noch zerfurchter war als das andere, aber zu diesem gehörten klarere Augen. Das Gesicht war nah. Winter nahm einen vagen, jedoch deutlichen Geruch nach Tabak wahr. Er entströmte der Kleidung des Mannes und mischte sich mit dem frischen Duft nach der Zigarette, die er in der Hand hielt. Der Rauch brannte in Winters Augen. Er blinzelte die Tränen weg. Die konnte er sich jetzt nicht leisten.
»Was zum Teufel treiben Sie da?!« Der ältere Mann wandte sich zu dem jüngeren um, der neben Winter saß. Dem mit dem Lächeln. Der Ältere lächelte nicht. Auch der Jüngere hörte auf zu lächeln.
»Sollen wir dich wieder auf die Straße schicken, wo du hingehörst, Halders?!«
»Er hat angefangen.«
»Halt’s Maul!«, schrie der Ältere. Sein Gesicht war dem Gesicht des Jüngeren noch immer nah, und Winter sah Speichel wie Nieselregen über Halders’ Gesicht sprühen. Halders hieß er also und schien neu zu sein im Dezernat, nicht ganz so neu wie Winter, aber der Zweitneueste. Winter wusste, dass der schreiende, spuckende und kettenrauchende Mann Kommissar Sture Birgersson war, der Chef des Fahndungsdezernats. Ein Problemlöser mit Phantasie. Einer, der mit Phantasie Probleme löste. Aber dieses Problem hatte ihn lebensgefährlich rot anlaufen lassen. Der Blutdruck wusste nicht, wohin, er schien durch Birgerssons Körper zu stürmen, auf der verzweifelten Suche nach einem Ventil.
»Und du wagst es, die Schuld von dir zu schieben, verdammter Feigling?!«
Birgersson zog sein Gesicht zurück und warf jetzt Winter die harten Blicke zu. Winter fiel auf, dass Birgerssons Augen gelb waren, klar und gelb. Es war das erste Mal, dass er unter ihm Dienst leisten sollte. Der erste Tag, die erste Stunde, die ersten Minuten. Ein glänzender Start.
»Und was machen wir mit dieser Schaufensterpuppe?«
Halders grinste.
»Ich hab gesagt, HALT’S MAUL!«, schrie Birgersson, ohne Halders anzusehen. Sein Gesicht kam nun Winter immer näher. »Du hast die Jobbeschreibung offenbar falsch verstanden, oder? Hast du zu viele amerikanische Polizeifilme gesehen? ›Miami Vice‹ oder wie der Scheiß heißt? Schwulenpimmel in feinen Armaniklamotten, die jedem die Jacke voll hauen dürfen? Ja, glaubst du, das ist dein Job?!«
Winter öffnete den Mund, aber Birgersson schrie: »HALT’S MAUL!«, bevor er etwas sagen konnte.
»Ich hab ein gutes Wort für dich eingelegt, Junge.« Birgersson starrte Winter in die Augen. Birgerssons Augen erinnerten an eine Mondlandschaft. Er schien auch ungefähr genauso weit entfernt zu sein, obwohl er so nah war, dass Winter aus Birgerssons Mund Zigarettengeruch in die Nase stieg. Der Rauch von der Zigarette in der Hand seines Vorgesetzten stieg auf und brannte in Winters Augen, und er bemühte sich, diesmal nicht zu blinzeln. Auch ein Blinzeln konnte ein Zeichen von Schwäche sein. Würde er noch einmal blinzeln, er würde mit dem Kopf voran in den Korridor und aus diesem Dezernat fliegen und nie mehr in einem Fall mit Armaniklamotten am Leib ermitteln dürfen. Dann hieße es wieder Uniform, Nachtstreife im Hurenviertel um Pustervik. Vermutlich in Halders’ Gesellschaft. Der Tod wäre eine bessere Alternative.
»HAB FÜR DICH GESTIMMT, du kleiner Scheißer«, fluchte Birgersson, zog seinen Kopf mit einem Ruck zurück und ließ sich schwer auf den scheppernden Bürostuhl fallen. Es war ein Wunder, dass der nicht unter ihm zusammenbrach. »Ich musste sogar DIE STIMME ERHEBEN«, fuhr Birgersson fort, als wäre das bei ihm etwas Außergewöhnliches. »Einige der Herren hatten Vorbehalte, was dich betraf, und ich musste mit meinem Wort für dich einstehen. Ich habe behauptet, du seist reif für den Job!« Er wandte sich jäh zu Halders um.
»Und nun das!«
Halders hatte Verstand genug, das Maul zu halten.
»Wäre Bertil nicht in dem Moment aus dem Fahrstuhl gestiegen, wer weiß, wo das geendet hätte.«
»Vermutlich beim Polizeichef«, ertönte die Stimme des vierten Mannes im Zimmer. Er hatte bisher noch nichts gesagt. Er
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