Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
auf die Uhr, als wollte er prüfen, ob der Winter schon vor der Tür stand.
    Plötzlich hatte er sich entschieden.
    »Das ist eine gute Idee«, sagte er. »Es ist nur die Frage, ob ich vom Dienst befreit werde.«
    »Warum gehst du nicht in Pension?«
    »Ich mein’s ernst, Angela.«
    »Wirklich?«
    »Es ist eine gute Idee. Das habe ich soeben erkannt. Ich mein’s ernst.«
    Ganz ernst, ihm war ernst zumute. Er stand nicht unter Alkoholeinfluss, noch nicht. »Morgen rede ich mit Birgersson. Ich kann mich ab ersten Dezember vom Dienst befreien lassen.«
    Sie antwortete nicht.
    »Ganz legal. Bis Dezember sind es noch mehr als zwei Monate.«
    »Und … dein Fall? Dieser Mord?«
    Der ist bis dahin gelöst, dachte er. Das muss er. »Wir besorgen einen Ersatz, der die Ermittlungen leitet«, antwortete er.
    »Das funktioniert bestimmt. Wir können es jetzt schon vorbereiten, für den Fall des Falles.«
    Sie sagte nichts.
    »Hat jemand anders den Job in der Klinik bekommen?«, fragte er.
    Er merkte selbst, wie ängstlich seine Stimme klang. Plötzlich wünschte er nichts sehnlicher, als diesen Winter in der Sonne spazieren zu gehen. Mit den Mädchen im Hafen ein Eis zu essen. Ein Ausflug nach Málaga, ein Glas Prosecco zwischen den Tonnen und Sägespänen in der ›Antigua Casa Guardia‹, Picassos Stammkneipe. Noch ein Eis mit den Kindern. Baden. Gegrillter Barsch. Tapas bei Sonnenuntergang und nach Sonnenuntergang.
    »Angela?« Sie musste bemerkt haben, wie ängstlich seine Stimme geklungen hatte. »Hast du abgesagt? Hat jemand anders den Job bekommen?«
    »Ich habe nur einmal mit denen gesprochen, Erik, ganz unverbindlich. Jedenfalls von meiner Seite aus.«
    »Ruf sofort an und lass dir einen Termin für ein weiteres Gespräch geben.«
    »Na, jetzt geht’s aber rund«, sagte sie. »Und wo sollen wir beispielsweise wohnen für den Fall des Falles …? Wir können uns nicht bei Siv einquartieren.«
    »Denk nicht drüber nach im Augenblick. So was lässt sich lösen.«
    Jetzt hatten sie die Rollen getauscht. Sie zögerte. Er hatte sich entschieden. Doch sie hatte sich noch längst nicht entschieden. Es war eine Idee, ein Entwurf, etwas, das anders sein würde. Vielleicht Stoff für gute Erinnerungen. Man lebt nur einmal. Und Elsa würde es rasch lernen, die Bestellung für ihn in der Originalsprache aufzugeben. Un fino, por favor.
    »Okay, ich ruf an«, sagte sie. »Heute Abend ist es dafür zu spät.«
    »Spanische Kliniken öffnen ganz früh morgens.«
    »Das weiß ich, Erik.«
    Er hörte ihr Lächeln. »Jetzt möchte ich mit Elsa sprechen«, sagte er. »Und mit Lilly.«
    »Lilly schläft schon seit Stunden. Hier kommt Elsa.«
    Und sie erzählte von ihrem Tag. Die Wörter sprudelten in einem Schwall heraus, ganz ohne Luftholen.
    Er erzählte nicht von seinem Tag.
    Er träumte von einer Frau, die ihm mit einer Hand winkte. Die andere hielt sie hinter dem Rücken verborgen. Sie hatte kein Gesicht. Da war nichts. Dort, wo ihr Gesicht gewesen sein musste, war nur eine matte, weiße Fläche. Sie winkte zum zweiten Mal. Er drehte sich um, wollte feststellen, ob jemand hinter ihm stand, aber er war allein. Hinter ihm gab es nur eine weiße Fläche, eine Wand ohne Ende. Jemand sagte das Wort Liebe. Sie konnte es nicht gewesen sein, denn sie hatte keinen Mund. Er konnte es auch nicht gewesen sein, denn er wusste, dass er nichts gesagt hatte. Da war es wieder: Liebe. Es kam daher wie ein Windstoß. Jetzt konnte er den Wind förmlich sehen, er war rot, er fegte durch die Wand und färbte sie rot. Die ganze Zeit stand die Frau dort, bewegte den Arm, ihr Kleid wurde vom Wind erfasst. Alles wurde rot, weiß, rot, weiß. Wieder hörte er etwas, aber es war eine Stimme ohne Worte, oder es waren Worte, die er nicht verstand, eine andere Sprache, eine Sprache, die er noch nie gehört hatte. Er wusste nicht, was er dort tat. Es gab nichts, was er tun konnte. Er konnte nichts für die Frau tun, die vom Wind mitgerissen wurde. Er konnte sich nicht rühren. Der Wind nahm zu, Geräusche von Schlägen, Wind, Schläge, Wind. Er hörte einen Namen. Es war nicht Paula, nicht Angela, Elsa oder Lilly.
    Als Winter erwachte, war er nackt. Sein erster Gedanke galt der weißen Wand, die rot geworden war. Er konnte sie nicht sehen in der Dunkelheit. Ihn fror. Er hörte Geräusche, ein Schlagen. Und Wind. Ihm wurde klar, dass er bei angelehntem Fenster eingeschlafen war, der Wind hatte aufgefrischt und das Fenster losgerissen, das jetzt mit perfekter

Weitere Kostenlose Bücher