Zimmer Nr. 10
Göteborg kam mindestens einmal in seinem Leben unter Winters Fenster vorbei. Würden sie heraufschauen, könnten sie ihn sehen.
Er ging hinein, gönnte sich noch ein Glas Wein und schaltete seinen Laptop an. Er durchsuchte die Ordner. Der Bildschirm war die einzige Lichtquelle im Zimmer.
Das Telefon klingelte.
»Wahrscheinlich sind es zwei Jahre«, sagte Nina Lorrinder.
»Sie kennen sich seit zwei Jahren?«, fragte Halders.
Sie nickte. »Aber das hab ich der Polizei doch schon erzählt.«
»Ich weiß.«
»Und Sie fragen trotzdem?«
»Wo haben Sie sich immer getroffen, außer in der Kirche?«
»Nun … in einem Café. Manchmal im Kino, mal in einem Pub.«
Halders nickte.
»Manchmal im Fitnessstudio.«
»In welchem?«
»In der Västra Hamngatan.«
»Hat man da eigentlich Zeit füreinander?«
»Wie meinen Sie das?«
»Da wird doch viel gestöhnt und geächzt.«
Nina Lorrinder lachte fast. »Es gibt auch ein kleines Café«, sagte sie.
»Und dort haben Sie sich getroffen?«
Sie nickte.
»Und wie lief das ab?«
»Was meinen Sie?«
»Waren Sie allein?«
»Ja.«
»Jedes Mal?«
»Ja.«
»War sie gut trainiert?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?«
Halders wusste es nicht. Niemand wusste es.
»Ich versuche nur, so viel wie möglich über Paula zu erfahren.«
»Ich weiß nicht … ob ich sie so gut kannte.«
»Warum nicht?«
»Sie … ließ niemanden richtig an sich heran.«
»Was glauben Sie, warum nicht?«
»Sie war wohl einfach … so.«
»Wie ist man dann?«
»Na ja, vielleicht reserviert. Oder lebt etwas zurückgezogen.« Nina Lorrinder sah Halders über den Tisch hinweg an.
»Die Menschen sind nicht alle gleich.«
»Nein, wahrhaftig nicht.«
»Sie war vermutlich am liebsten für sich.«
»Aber sie ist ins Fitnessstudio gegangen«, sagte Halders.
»Da ist man ja auch meistens für sich, wie Sie vorhin schon andeuteten.«
»Ächzend und stöhnend.«
»Genau.«
»Jeder kämpft für sich allein.«
Nina Lorrinder schien das Letzte nicht gehört zu haben. Sie saß plötzlich tief in Gedanken versunken da.
»Wie oft haben Sie trainiert?«, fragte Halders.
»Äh … Was haben Sie gesagt?«
Halders wiederholte seine Frage. Nina Lorrinder wirkte immer noch abwesend. Ihr Blick war in sich gekehrt.
»Was ist?«, fragte Halders.
»Mir ist etwas eingefallen.«
»Ja?«
»Ich glaub, sie hat sich beim Training mit jemandem getroffen.«
Halders sagte nichts, nickte nur.
»Mit einem … Mann.« Nina Lorrinder schien wie gebannt in die Vergangenheit zu starren, als ob es ihr helfen würde, sich zu erinnern. Sie schloss die Augen, wie um ihren Blick zu schärfen. Als sie die Augen öffnete, waren sie wieder klarer.
»Vielleicht täusche ich mich auch.«
»Reden Sie weiter.«
»Sie hat einige Male mit jemandem gesprochen.«
»Wo?«
»Beim Training.«
»Ist das so ungewöhnlich?«
»Bei Paula war es das.«
»Inwiefern?«
»Sie nahm nie selber Kontakt auf, nicht auf diese Weise.«
»Vielleicht hat sie es ja auch nicht. Vielleicht ist er ihr auf die Zehen getreten und hat sich entschuldigt. Vielleicht ist das mehrmals passiert.«
»Ich weiß nicht …«
»Vielleicht ist das die übliche Anmache in einer Muckibude.«
»Ach?«
»Ist das nicht einer der größten Singletreffs in der ganzen Stadt?«
»Das weiß ich wirklich nicht. Darüber hab ich noch nie nachgedacht.«
»Aber Sie haben bemerkt, dass Paula mit jemandem gesprochen hat.«
»Ja.«
»So lange, dass es Ihnen im Gedächtnis geblieben ist«, sagte Halders.
»Vielleicht bedeutet es nichts.«
»Woran erinnern Sie sich noch?«
Wieder schloss Nina Lorrinder die Augen. Sie strengte sich wirklich an. Halders konnte fast sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Eine Ader begann zu pochen. Sie strich sich das Haar hinters Ohr. In ihrer Schläfe hämmerte es weiter.
Sie öffnete die Augen. »Ich hatte den Eindruck, sie kannte ihn.«
Winter hob den Telefonhörer ab und blickte auf die Uhr.
Es war Torsten Öberg.
»Ich weiß, es ist schon spät«, begann er, »aber ich dachte, du möchtest es wissen. Und eine Frau in Linköping hat gedacht, ich möchte es auch wissen, und hat Überstunden gemacht.«
»Was habt ihr Neues?«
»Es ist Blut, und es ist ihr Blut«, sagte Öberg.
»Ach?«
»Ziemlich enttäuschend, was?«
»Aber der Fleck war alt?«
»Ja. Sie können nicht genau sagen, wie alt, aber älter als einen Monat.«
»Dann hat sie den Strick selbst mitgebracht«, sagte Winter.
»Das weiß ich allerdings
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