Zimmer Nr. 10
hier?«
»Quer über den Hof.«
»Was hatte er dann hier im Haus zu suchen?«
»Er wollte einen Freund eine Wohnung tiefer besuchen, sagen die von der Zentrale. Der Freund war wohl nicht zu Hause. Aber der Zeuge hat einen Wahnsinnskrach gehört.«
Winter nickte. Jetzt herrschte hier eine Wahnsinnsstille. Manchmal war es so, als wäre ein Schrei in dem Zimmer hängen geblieben, das er betrat, aber so war es hier nicht. Wer immer hier gewesen war, hatte den Schrei mitgenommen.
Halders sah sich wieder um. »Verdammt sonderbar.«
»Wir müssen uns wohl mit dem Anrufer unterhalten«, sagte Winter.
»Ich lass einen Wagen kommen«, sagte Halders. »Vorher können wir hier nicht weg.«
»Ich schau mich noch ein bisschen um«, sagte Winter.
Er ging ins Treppenhaus und las noch einmal das Namensschild an der Tür. Kein Vorname. Er wusste absolut nichts über die Martinssons, ihn oder sie oder beide. Er wusste nichts über das, was hier geschehen war. Es war verdammt sonderbar, wie Halders gesagt hatte. Ohne ein Opfer wussten sie nichts.
Er kehrte in die Wohnung zurück und betrat ein weiteres Zimmer. Das Doppelbett war ungemacht. Es sah aus, als hätten zwei Personen darin gelegen, zwei eingedrückte Kopfkissen. Das konnte von heute Morgen sein, von gestern, vorgestern.
Im Schlafzimmer war Blut. Er entdeckte es erst auf den zweiten Blick. Erst dachte er, es sei ein Teil des Musters des Kopfkissenbezuges, und es wirkte, als wäre es mit Absicht dort hinterlassen worden. Man musste schon genauer hingucken.
Was war hier passiert?
Er ging wieder in die Küche.
Sie warteten, bis die Männer von der Spurensicherung kamen, dann machten sie sich auf den Weg zu dem Haus gegenüber. Nördlich von dem Gebäude hörte Winter einen Hund bellen. Dort war ein Wäldchen, das aussah wie ein Märchenwald. Die Bäume standen dicht beieinander, aber es schienen nicht viele zu sein.
Der Hund bellte immer noch, als sie das Haus betraten, Winter konnte ihn hören, während sie die Treppen hinaufstiegen.
Sie klingelten an einer neuen Tür. Winter las den Namen auf dem Schild: Metzer. Das klang deutsch oder vielleicht französisch oder italienisch. In diesem Stadtteil wohnten viele Ausländer, Südeuropäer, Finnen. Die finnische Kolonie war groß. Sie feierten Feste, bei denen der Schnaps in Strömen floss, aber die Kollegen von der Schutzpolizei mussten selten deswegen ausrücken. Die Finnen kümmerten sich um ihre eigenen Betrunkenen, darin waren sie vermutlich Meister, die Finnen und die Russen. Die Schweden kamen schlechter damit zurecht, obwohl das Land als Heimat des Aquavits galt.
Winter blieb ein wenig tiefer auf der Treppe stehen. Er wusste nicht, wie der Mann hieß, der angerufen hatte. Halders hatte den Anruf der Zentrale entgegengenommen. Sie waren ganz in der Nähe gewesen, auf der Suche nach einer Bande, die im Verdacht stand, Rauschgift zu schmuggeln, und konnten genauso gut noch einen Kilometer weiterfahren, klar. Die Bande war ja sowieso nicht auffindbar.
Die Tür wurde geöffnet.
»Herr Metzer?«, sagte Halders.
Winter konnte den Mann nicht sehen, er wurde von Halders verdeckt. Es zog im Treppenhaus, der Wind kam von unten, als hätte jemand die Haustür geöffnet. Wieder hörte er das Hundegebell, es wurde mit dem Wind heraufgetragen. Unten schien jemand die Tür aufzuhalten.
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Halders.
Winter hörte Gemurmel von der Tür. Immer noch sah er nicht das Gesicht des Mannes, nur Halders’ Rücken. »Geh schon rein, ich muss mal eben was nachschauen«, sagte er und lief die Treppe hinunter.
»Hast du was vergessen?«, fragte Halders.
»Geh du schon rein«, rief Winter. »Ich komm gleich nach.«
Die Haustür war offen. Jemand hatte sie mit dem Haken gesichert.
Draußen stand ein Junge mit einem Hund an der straffen Leine. Der Hund hatte aufgehört zu bellen, aber ruhig war er nicht. Er zerrte an der Leine in Richtung des Wäldchens, als würde er davon magisch angezogen. Der Junge starrte Winter schweigend an.
»Hast du gesehen, wer die Tür aufgemacht hat?«, fragte Winter.
Der Junge schüttelte den Kopf. Er mochte elf, vielleicht zwölf sein.
»Wohnst du hier?«
Der Junge zeigte auf das Gebäude, in dem sie vorher gewesen waren. Die Männer von der Spurensicherung waren jetzt vor Ort. Winter sah Licht hinter den Fenstern im vierten Stock und die Schatten der Männer, die sich dort bewegten. Wir bleiben nicht lange, hatten sie gesagt.
»Da wohnst du?«, fragte Winter. »In
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