Zipfelklatscher
Hechter« steht im Etikett, und die leere Tüte auf dem alten Doppelbett meiner Eltern hat den Aufdruck »Herrenausstatter Rosenmüller, Bad Endorf«.
»So eine Sauerei! Bügeln für jemanden, der keine gebügelten Hemden braucht, und im Verkauf bleibt der Fisch liegen! Dafür brauch ich dich nicht, du kannst für heute nach Hause gehen!«
Das ist ungerecht, weil sich mein Wutanfall eigentlich gegen meinen Vater richtet. Ursula schaut mich entsprechend mit einem Blick an, der besagt, dass bei den Sonnfischers allesamt das Oberstübchen entrümpelt gehört, und ist schneller weg, als ich mich bei ihr entschuldigen kann.
Am Abend sind fast achtzig Renken übrig. Während ich einigermaßen frustriert die Scheiben der leergeräumten Verkaufstheke mit Glasreiniger besprühe, kommt die Molly um die Ecke, mit einer Art Werkzeugkoffer, in dem wahrscheinlich ihr Schneidewerkzeug drin ist, aber erstaunlicherweise ohne ihr Model Emerenz.
»Molly, griasdi! Was ist denn mit der Nachbarin, wollte die gar nicht mitkommen?«
»Nein, die fühlt sich nicht wohl«, sagt Molly (eigentlich sagt sie »fich« statt »sich«), und plumpst auf eine Bierbank, ohne mir ihre Hilfe anzubieten. Sie hat einen interessanten neuen Look, nämlich rechts und links zwei lila Strähnen bis zum Kinn, ansonsten schwarz gefärbt und am Hinterkopf ein hochrasiertes kurzes Gewuschel. Als hätten zwei Eichhörnchen darin gevögelt. »Die Arme. Ich schau nachher mal nach ihr.« Ich schenke uns zwei Weinschorlen ein und versuche Molly nicht zu auffällig auf die Vorderzähne zu gucken. »Und, bist du mit der Lehre fertig?«
Die Molly hat nämlich eine eher unordentliche Gebissstruktur. Obwohl sie ein ziemlich breites Gesicht hat, ist ihr Kiefer irgendwie zu klein, und so schieben sich die Front- und Eckzähne übereinander, als wollten sie alle einen Platz in der ersten Reihe haben. Es ist ganz schwer, die Augen davon abzuwenden. Vor allem weil Molly ziemlich lispelt und einen dadurch ständig daran erinnert. So gesehen ist ihre neue Frisur durchaus typgerecht, weil sie immerhin von ihrem Zahnsalat ablenkt.
Noch bevor ich mir eine Strategie überlegen kann, wie ich Molly am besten nach den neuesten geschäftlichen Entscheidungen ihres Vaters ausfrage, legt sie etwas auf den Tisch und faltet es auseinander. Es ist die Radwander- und Freizeitkarte Chiemgau, die es in der Touristeninformation am Festland umsonst gibt.
»Willst du eine Radltour machen?«
Ich muss an das aufgetunte Angeberbike vom Geißen-Clooney denken und pimpe meine Weinschorle mit einem weiteren Schuss Veltliner.
»Nein.« Sie holt etwas aus ihrem Koffer, eine kleine Box mit Stecknadeln. »Der Janni und der Michi kommen auch noch zu dir, weil ich ihnen Bescheid gesagt habe, und dann helft’s ihr mir einen Mann finden.«
»Mit dem Radl?«, frage ich.
»Wenn’s sein muss«, sagt Molly ungerührt.
»Apropos, hat das eigentlich sein müssen, dass dein Vater keinen Fisch mehr bei mir kauft?«, senke ich die Stimme. »Weißt du, warum?«
Die Molly sieht mich an wie ein Pferd. Ein bayerisch-kroatisches Kaltblut mit crazy Frisur. Und sagt nix.
»Dein Vater hat ja eh nur zwei Fischgerichte auf der Karte, Renke gebraten und Hechtspieß. Schon immer bekommt er den Fisch dafür von uns. Und jetzt will er ihn nicht mehr und sagt mir nicht warum.«
»Mei, der Bappa wird schon wissen, was er macht!«, antwortet die Molly aufmüpfig, und ich merke, dass sie keine Ahnung hat vom Geschäftlichen. Als ich sie bitte, ob sie noch mal mit ihm reden kann, nickt sie halb, halb zuckt sie mit den Schultern und schaut mir zu, wie ich ein paar blühende Rosentriebe abschneide und zusammenbinde.
»Ich muss noch schnell ans Grab«, entschuldige ich mich, und lasse sie kurz mit ihrer Landkarte und der Weinschorle allein. Denn wenn ich mich nicht ein bisschen einkriege, beiße ich der Molly und dann am besten noch dem Michi und dem Janni den Kopf ab, weil ich so geladen bin. Und das wäre in Zeiten wie diesen keine gute Publicity. Gibt es eigentlich noch Existenzformen unter dem Schwebeteilchen?
Auf dem Weg zum Friedhof muss ich am Hotel vorbei, obernobel sieht die Gesellschaft aus, die sich da gerade im Garten versammelt. Heute Abend wird also wieder gefeiert, und zwar vom Feinsten. Egal, interessiert mich nicht. Mit dem neuen Geschäftsführer? Vergiss es.
»Ein wunderbarer Ort der Besinnung, nicht wahr?«, spricht mich die Klosterschwester mit dem großen Schlüsselbund an, während ich die sperrigen
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