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Zipfelklatscher

Zipfelklatscher

Titel: Zipfelklatscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hohner
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wieder da!«
    Der chiemseeblaue Stoff schimmert durch die transparente Schutzhülle und ich schließe den Schrank im Schlafzimmer meiner Eltern so leise wie möglich wieder und hoffe sehr, dass mein Vater nicht ausgerechnet jetzt auf den Gedanken kommt, die Augen aufzuschlagen. Als ich wieder nach draußen schleiche, dreht er sich im Schlaf herum und murmelt »L-ka! L-ka!« und ich nehme mir vor, ihn morgen zu fragen, ob er erkältet ist. Aber nicht jetzt. Am alten Wäscheschrank im Flur ist ein Spiegel, und als ich den obersten Knopf des Dirndls schließe, muss ich die Luft anhalten, damit ich nicht losheule, weil es noch so nach der Mama riecht. Und damit ich den Stoff nicht sprenge. Ich bekomme wider Erwarten trotzdem mehr als nur einen Knopf zu, sieht so aus, als hätte ich in den letzten Wochen ein paar Pfund verloren. Dass ich keinen Dirndl-BH besitze, fällt nicht weiter auf, mit noch mehr Push-Up würde mir der Busen sowieso glatt aus dem Mieder fallen. Ich schließe die lange Reihe Perlmuttknöpfe, der stramme Stoff verdrängt den restlichen Speck Richtung Hüften, wo er die vielen Falten noch mehr aufspringen lässt. Als ich mir zuletzt die rot-weiß karierte Schürze umbinde, fühle ich mich im ersten Moment total verkleidet, mehr als in allen meinen bisherigen Hochzeits-Outfits, aber das hilft jetzt nichts. Jetzt noch Mamas hellgraue Trachtenschuhe mit der Silberschnalle und die Lochmusterkniestrümpfe, Wimperntusche, und die Locken mit ein paar Haarklammern zu einem provisorischen Dutt zusammengebaut, das muss reichen.
    David sitzt nicht wie erwartet brav an meinem Schreibtisch und erlegt Moorhühner an meinem Computer, sondern auf dem Fußboden, um ihn herum Papierstücke wie von einer zerrissenen Tapete.
    »Was ist das?«, fragt er, ohne den Kopf zu heben.
    »Das ist nichts, das war was. Jetzt ist es Müll«, sage ich, »das siehst du doch, tu das bitte wieder zurück in den Papierkorb.«
    »Sicher nicht. Das interessiert mich«, sagt er störrisch und versucht Fetzen der blauen Durchschnittstemperatur-, roten Fischfang- und schwarzen Umsatzkurve aneinanderzuhalten wie ein Puzzle. »Wer hat das berechnet? Hm?«
    Ich glaube, er hat vor, mir einen seiner prüfenden Managerblicke zuzuwerfen, aber als er den Kopf hebt, schnellen seine Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hoch und die zwei Papierstücke, der er gerade zusammenfügen will, verfehlen sich um gute dreißig Zentimeter.
    »Kati! Sensationell! Ich meine, also, das Dirndl! So eine schöne … Farbe!«
    Er starrt immer noch und lässt sich ohne Widerstand die zerknüllten Teile meines Fünfzehnjahresplans aus der Hand nehmen.
    »Gib her. Das war nur eine Spinnerei von mir. Theoriegewäsch. Als könnte man das Leben berechnen.«
    »Nein, das kann man nicht berechnen«, nickt David. Kleine Pause, er mustert mich, seine Augenbrauen immer noch in der Hoppla-Position.
    »Aber man kann unerwartete Ereignisse einfach als einen neuen Faktor akzeptieren, der auf lange Sicht vielleicht sogar Vorteile bringen kann. Dann werfen sie dich nicht so leicht aus der Bahn.«
    Darüber muss ich kurz nachdenken.
    »Ja, das habe ich eigentlich auch immer so gesehen, aber zurzeit fehlt mir ein bisschen die pragmatische Herangehensweise. Im Moment habe ich einfach das Gefühl, ich stecke da knietief in irgendetwas drin, was sich meiner Kontrolle entzieht, und das macht mich ganz fertig.«
    Ich sage jetzt nicht dazu, dass die Konkurrenz durch sein Hotel und das Hausverbot einen nicht unwesentlichen Beitrag zu meiner Verstörung beigetragen haben, und alleine kommt er offensichtlich auch nicht drauf.
    »Das kenne ich«, pflichtet er mir stattdessen bei, »wenn der Abstand fehlt, einen die Ereignisse überholen und man einfach nicht mehr in Ruhe darüber nachdenken kann, wie es weitergeht.«
    Ich sehe ihn an, wie er da auf dem alten Dielenboden in meinem Zimmer kniet, und zu mir hochschaut und traurig lächelt. Ich gehe einfach mal in die Knie, um mich zu ihm auf den Boden zu setzen.
    »Wieso, kennst du das? Du machst, öhm, also du machst schon eher den Eindruck, als würdest du immer genau wissen, was du willst.«
    »Sichrrrr«, sagt er jetzt, wieder bedächtig, mit diesem kehligen »cchhhhh«, an das ich mich direkt gewöhnen könnte, und das in seiner Freizeitsprache anscheinend jeden seiner Sätze einläutet, »aber das hilft einem auch nicht immer weiter. Vor Kurzem zum Beispiel wusste ich ganz genau, was ich wollte, und zwar: Einfach nur weg. Aber das war auch alles,

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