Zipfelklatscher
frisst man die Wurscht auch ohne Brot! Wird halt kein anderer da gewesen sein für die Molly! Und wennst mich fragst, ich glaub, so wie der beinander ist, kosmolopolitsch und alles, dass sich der Kerle durchaus auch einfügen könnt in die Familie, die kroatische.«
»Fragt dich aber keiner!«, erwidere ich und werde meinem angeblichen Ruf als Zwiderwurzn gerecht, weil ich es total anmaßend finde von der Emerenz, die Molly mit einem Fürstenhof zu vergleichen, als könnte ich mit meiner Fischerei nicht gegen so eine Wirtschaft anstinken. Jedenfalls bald wieder, sobald ich ein paar Kleinigkeiten in Ordnung gebracht habe. Immerhin fällt mir gerade noch ein, dass ich noch etwas ganz anderes erledigen wollte:
»Aber den Koferl, den hast du nicht zufällig angerufen, oder?«
»Koferl, Koferl?«
Die Emerenz schaut mich mit großen Augen an. »Das ist doch das Trachtengeschäft in Ruhpolding! Nein, wieso, du brauchst doch endlich amal a Dirndl, und ned ich!«
Ihre Ahnungslosigkeit klingt ehrlich, was die Sache aber nicht unbedingt einfacher macht, weil mir jetzt auch nicht mehr einfällt, wen ich noch im Verdacht haben könnte. Ich verschiebe deshalb wegen schlagartiger Erschöpfung weitere Investigationen auf später und gehe nach Hause, um mich in meiner Weltuntergangsstimmung zu suhlen. Als mein Handy klingelt, weil Michi-Mike bei mir anruft, schalte ich das Telefon einfach nur auf stumm. Auf gar keinen Fall kann ich jetzt irgendeine Gesellschaft ertragen. Nachdem ich über das Seil mit der Tafel »Geschlossen« gestiegen bin, bin ich so deprimiert, dass ich mich sofort ins Bett legen muss.
Normalerweise spüre ich abends beim Einschlafen noch ein Schwanken unter mir und Phantom-Gummistiefel an meinen Füßen. Heute spüre ich gar nichts, so lange war ich schon nicht mehr draußen auf dem See. Stattdessen fliegen Zahlen durch meinen Kopf, viel zu hohe Geldbeträge, die durchs Herumschieben auch nicht besser werden. Es ist gerade mal halb zehn, als ich einschlafe und von der Emerenz träume, die in einer goldenen Kutsche sitzt, die von der Molly gezogen wird. Die Molly hat eine hellblaue Rokoko-Perücke auf, und neben ihr laufen zwei zischende Schwäne, die ihre langen Hälse drohend nach einem Mann ausstrecken, der vor der Kutsche davonläuft und von dem ich leider nur den Rücken sehen kann. Er hat allerdings dichte dunkelbraune Haare und beim Laufen wickelt sich eine dunkelgraue Schürze um seine langen Beine. Molly schnauft und streckt ihre Hände nach ihm aus, ihre Krautstampfer donnern auf die Erde, langsam verkleinern sich ihre Arme und bekommen Krallen, und ihre Schenkel werden länger, die Kniegelenke knicken nach hinten durch, sie wird zu einem schrecklichen Mollysaurus Rex, unter dessen Füßen die Erde bebt, bumm, bumm, bumm. »Ziag’n zuawa!«, kreischt die Emerenz, und der Mollysaurier streckt seine Krallen aus nach dem fliehenden Mann, gleich werde ich sehen, wer …
Ich schrecke hoch, einen steinzeitlichen Geschmack im Mund, und während ich nach meinem Wasserglas taste, merke ich, dass der Traum zwar vorbei ist, das bumpernde Geräusch aber nicht aufgehört hat. Es klopft. Und zwar von außen an meine Fensterläden.
Nun ist Fensterln ein Brauch, der allgemein eher aus der Mode gekommen ist, kaum ein Mann begehrt mehr mit den unwiderstehlichen Worten »Zenzi, lass mi eini!« Einlass in die Kammer und die Muschi seiner Auserwählten. Auf Inseln haben überholte Bräuche wahrscheinlich eine höhere Halbwertszeit, aber seit das Mädchenpensionat des Klosters einer Tagesschule für Sonderschüler gewichen ist, geht die testosterongesteuerte Leitersteigerei auch hier gegen null. Nun, um an mein Fenster zu gelangen, muss man auf keine Leiter steigen, unser geducktes altes Haus bietet keuschheitsmäßig so gut wie keinen Widerstand, aber davon habe ich persönlich bisher wenig profitiert. Im Gegenteil. Ich musste so manche Inselrunde drehen, bis meine Schwester ihre Gspusis aus unserem gemeinsamen Zimmer wieder hinausgeschafft hatte, immer auf der Hut vor nachbarschaftlichen Stielaugen. Und dann wurde ich erwachsen und Fischerin und habe gelernt, die Sachen selbst in die Hand zu nehmen, um auf meine Kosten zu kommen. Deshalb ist Männerbesuch das Letzte, was mir in den Sinn kommt, als ich nachsehe, wer mich geweckt hat. Mein schlafwandelnder Vater, der vergessen hat, wo die Haustür ist? Oder die Emerenz, die mich mitten in der Nacht um ein Stück Butter bitten will? Die Fensterläden quietschen
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