Zirkus zur dreizehnten Stunde
legte sich auf ihre Lippen. „Du bist um diese Uhrzeit noch wach, starrst in den Himmel.“ Ihr Blick suchte den seinen. „Welcher Traum lässt dich nicht schlafen?“
„Wohl eher ein Albtraum“, meinte er schließlich und richtete sich auf.
„Auch Albträume können zu Träumen werden.“ sie sah ihm kurz entgegen und wandte den Blick ebenfalls zum Himmel.
„Und wahr werden?“ Ein Schnauben. „In welcher Welt lebst du nur?“ Einen Augenblick sah er sie an, dann wurde seine Stimme hart. „Nicht jeder kann in einer Welt ohne Angst, Schmerz und Probleme leben!“
„Eine solche Welt gibt es auch nicht.“ Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Die freudigen Ereignisse hatten sie die Qualen ein wenig vergessen lassen. Sie hatten die Trauer in ihr überlagert. Doch jetzt schien der Schleier wieder ruckartig gelüftet zu werden.
„Deine Welt scheint so zu sein.“
Warum griff er sie an? Warum versuchte er um jeden Preis, sie zu verletzen? Etwas stimmte nicht mit ihm. Lillian sah seine Aura. Flammen, die wild um ihn züngelten. „Du bist neu hier. Du erzählst von alten Legenden, die in anderen Hoffnungen wecken. Weißt du überhaupt, was eine Welt ohne deine Träume ist?“
Lillian spürte die Tränen, die ihr in die Augen schießen wollten. „Ich wünschte ich wüsste es.“ Sie senkte den Blick und schloss die Augen. „Meine Traumwelt ist anders, als die, die ich anderen zeigen kann.“ Die Wunde brach auf, fing wieder an zu bluten und Schmerz durchzuckte ihren Körper.
Er schien zu überlegen. Sie spürte seinen Blick auf sich, spürte wie er sie nicht mehr losließ. Es gelang ihr die Tränen zurückzudrängen. Sie sah ihn an, versuchte ihm standzuhalten. Doch wieder griffen die dunklen Schatten der Erinnerung nach ihr. Die letzten Augenblicke mit dem Mann, den sie geliebt hatte. Sie wandte sich ab.
„Aber … jedes Wesen braucht Hoffnung. Jedes Wesen braucht … etwas, das es festhalten kann. Wenn ich hier bin und meine Wunden weiter bluten lasse, werde ich irgendwann daran sterben. Also …“, sie drehte sich wieder zu ihm. „… verhindere ich, dass andere ebenfalls an ihren Wunden sterben. Wenn meine Träume anderen den Schmerz nehmen, sind sie doch noch für etwas gut.“ Sie schwieg, drehte sich wieder weg und sah erneut zu den Sternen auf. „Ich habe Träume beendet … jeder Traum, den ich neu erschaffe, ist eine Sühne für meine Schuld. Auch wenn sie niemals ganz getilgt werden kann.“
Etwas geschah. Mit einer schnellen Bewegung kam er näher. Wie von alleine wich sie zurück, spürte plötzlich das Holz eines Wagens in ihrem Rücken. Die Hand des Unbekannten stemmte sich gegen die Wand in der Höhe ihres Gesichtes.
***
Was hatte sie erlebt? Was war ihr Geheimnis?
Fast gegen seinen Willen, kam Aramis ihr immer näher und seine andere Hand berührte sie sanft an der Schulter. Ein leichtes Kribbeln zuckte ihm durch die Finger, fast wie Elektrizität. Lillian fuhr zusammen, die Augen weit geöffnet, starrte sie ihn einen Moment an, hob die Hände in seine Richtung und …
… brach wieder ab! Sie schien weiter nach hinten flüchten zu wollen, aber der Wagen in ihrem Rücken hielt sie auf. Ihr Blick sah aus, als hätte sie plötzlich eine angsteinflößende Bestie vor sich. Doch für einen Sekundenbruchteil hatte er in ihren Augen einen Schmerz gesehen, der tief in ihr steckte. Er hatte einen Schatten gesehen. Ein Spiegelbild, das sich in ihre Augen gebrannt hatte und sie, trotz ihrer offenen und freundlichen Art, tief belastete.
Mit einer schnellen Bewegung wandte sie das Gesicht ab, bevor er mehr erkannte, bevor er in ihren Traum eindringen konnte.
„Ich … ich muss los“, presste sie schließlich hervor und versuchte sich unter seinem Arm hindurch zu ducken. Es gelang ihr, doch weit kam sie nicht. Blitzschnell griff seine Hand nach ihr und hielt sie fest.
Aramis spürte die Hitze, die sich in seiner Hand manifestierte. Wollte er ihr wehtun? Etwas in ihm schien sich immer mehr zu entfachen.
Ihr Blick ging wieder zu seinem Gesicht, traf seine Augen und …
Mit einem Zischen zog er die Hand zurück. Einen Moment starrte er die Handfläche an. Verwirrt? Fassungslos? Etwas schien geschehen zu sein.
„Entschuldige“, kam ihre Stimme leise aus ihrem Mund. Er konnte nicht sagen, ob sie ihn verletzt hatte. An ihrem Arm schien leichter Nebel zu wabern und die Konturen verschwimmen zu lassen. Es wurde kühler.
Er starrte sie an, schien einen Moment zu
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