Zirkus zur dreizehnten Stunde
Bild und trotzdem fühlte sie sich … wohl? Ja, das traf es vielleicht am besten. Wenn sie sich auch nicht erklären konnte, wie das alles so schnell hatte passieren können.
Sie verließ den Wagen von Maurice. Sie hatte zugesagt! Die Erkenntnisse dämmerten nur ganz allmählich in ihr Bewusstsein. Wie konnte sie sich hier so schnell einfinden und dabei keine Bedenken haben?
Das alles verwirrte sie. Es war so vollkommen ungewohnt. So –
Ein lautes Bellen. Lillian prallte zurück. Vor ihr stand ein Wolf, daneben ein Mädchen. Ein bekanntes Gesicht, umrahmt von dicken Locken. Das Mädchen, dessen Aura sie am ersten Tag gesehen hatte. Das Mädchen, das geflüchtet war. Sie stand vor ihr, die Hände vor der Hüfte verkrampft. Die Augen gingen unstet hin und her und es schien, als würde sie etwas sagen wollen. Doch etwas hinderte sie daran.
Es dauerte noch einen Moment. Das Mädchen holte gerade Luft, stockte und wurde von dem Wolf plötzlich angeschubst. Ihre Gesichtszüge entgleisten. Sie stolperte und sah mit aufgerissenen Augen nach oben.
Der kleine Ausrutscher brachte Lillian zum Lächeln. „Kann ich dir helfen?“ Sie musste ihr ein wenig entgegenkommen. Die Kleine zuckte zurück. Wie war ihr Name doch gleich gewesen? Feline … Felicitas … das war er!
„Dein Name ist Felicitas, nicht wahr?“, Lillian ging einige Schritte nach vorne und streckte ihr die Hand hin. „Ich bin Lillian.“ Sie wusste nicht, was es war, aber etwas faszinierte sie an dem Mädchen. Vielleicht die traurigen Augen, der unsichere Blick. Oder vielleicht etwas ganz anderes. Vielleicht weil Lillian sah, welche Angst das Mädchen vor ihrer eigenen Herkunft hatte. Ein Werwolf, eine mächtige Aura, eine Macht, die überwältigen konnte. Was musste es für ein Gefühl sein, wenn etwas in einem lebte, das man nicht kontrollieren konnte? Etwas, das immer wieder ausbrach und vielleicht sogar die Menschen, die man liebte mit in den Untergang riss. Lillians Hand wurde schwer und sank ein wenig herab.
… wenn man Menschen, die man liebte in den Untergang trieb …
„Ja!“ In dem Moment fuhr Felicitas auf und griff nach der Hand. „Ich … ich bin …“ und schon brach sie wieder ab.
„Ganz ruhig“, sagte Lillian besänftigend. „Wie heißt dein Freund hier?“ Sie beugte sich hinab.
Der Wolf hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und beobachtete alles. Er war zahm, ließ sich ohne Probleme am Kopf kraulen und wirkte gar nicht wie ein wildes Tier. Seine Augen waren von einem kräftigen Gelb und schienen vom Alter gezeichnet. Einige Narben unter seinem Fell waren zu spüren und unterstrichen seine Erfahrung.
„Luna“, endlich konnte Felicitas durchatmen. „Sie ist immer bei mir.“
„Gibt es noch mehr Wölfe hier?“, Lillian kraulte weiter das dichte Fell des Wolfes. Ein freundliches Grollen drang aus dessen Kehle.
„Ja“, allmählich taute die kleine Werwölfin auf. „Es gibt noch einige hinten im Lager.“ Sie drehte sich um, wies vage in eine Richtung und sah wieder fragend zurück. „Magst … du sie sehen?“
„Gerne.“ Lillian nickte und folgte dem Mädchen schließlich.
Bei den Tieren ging Felicitas regelrecht auf. Kaum war sie dort, wurde sie überschwänglich begrüßt. Die Wölfe tollten um sie herum und ihre rotbraunen Haare lösten sich bei dem ganzen Toben aus dem dicken Zopf. Ihre Augen leuchteten und das Lächeln zwischen den vielen Sommersprossen unterstrich ihre Jugend. In diesem Moment war sie eindeutig zu Hause angekommen. Jeder Handgriff saß, die Schüchternheit war weg. Hier war sie das Alphatier.
„Du liebst sie“, meinte Lillian nach einer Weile und strich einem der jüngeren Wölfe durch das Fell.
„Sie … sind meine Familie“, antwortete das Mädchen mit einem Lächeln. Ihr Blick schien für einen Moment wieder trauriger zu werden. Der Wolf kam näher zu Lillian und schien sie in Felcitas’ Richtung schieben zu wollen.
„Sie mögen … dich.“ Die Stimme des Mädchens war leise. Wieder kehrte Stille ein. Ein Schweigen, das eine Spannung enthielt, eine Erwartung, dass etwas bestimmtes geschah.
„Was liegt dir auf der Seele, Feli?“ Es lag an Lillian, den ersten Schritt zu tun. Die Werwölfin würde einen Anstoß benötigen oder auf ewig in diesem Schweigen festsitzen.
„Bist …“, ein Stocken, „bist du … wie ich?“
Sie spürte den Hoffnungsschimmer, der in der Seele des Mädchens glomm. Ein Wunsch nicht mehr einsam zu sein. Nicht mehr alleine, sondern unter
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