Zirkus zur dreizehnten Stunde
Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Ein Schmerz, der von ihrem Gewissen herrührte. Sie schloss die Augen.
„Es tut mir leid, Jack.“ Eine Träne fiel zu Boden. „Du bist … ein Monster!“, meinte sie leise, fuhr herum und hetzte davon.
Hinter sich hörte sie wie Jack aufjaulte. Faith sah nicht mehr zurück. Sie spürte regelrecht wie er sich auf alle Viere hatte fallen lassen und ihr hinterherjagte. Sie hörte seine Krallen, die über den Boden kratzten. Was auch immer er jetzt war, von ihrem Freund, den sie einst gekannt hatte, war nicht mehr viel übrig.
So schnell sie konnte rannte sie weiter. Wahllos bog sie um Ecken. Die meisten Menschen waren bereits von den Straßen verschwunden. An den wenigen Verbliebenen lief sie vorbei, hörte wie ihre plötzlichen Schreie in gurgelnden Lauten erstickten, sobald Jack sie erreicht hatte.
Unschuldige säumten ihren Weg, sie musste so schnell wie möglich aus der Stadt.
Kratzende Geräusche …
Faith schüttete den Kopf. Etwas geschah in ihren Erinnerungen. Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt?
Dunkle Gassen formten sich zu einem Gang. Ein Gang in einem Haus. Die kratzenden Geräusche wurden lauter.
Ein Passant prallte mit ihr zusammen. Sie schob ihn zur Seite. Jack schien ihn einfach zu zerreißen. Zumindest klang es so. Ein Reißen von Fleisch und Sehnen. Blut, das auf den Boden spritzte.
Vor ihr ertönte ein Rauschen. Die Straße mündete in einer etwas breiteren. Faith sprang regelrecht nach vorne und hoffte auf Rettung. Doch vor ihr tat sich nur das Gerüst einer gewaltigen Brücke auf. Die Straße führte links und rechts weiter, jedoch schienen hier deutlich mehr Menschen unterwegs zu sein. Sie würde alle ins Unglück reißen!
Faith wirbelte herum, doch Jack war schon am Ende der Gasse angekommen.
Er lauerte wie ein Tier. Seine Zähne waren gebleckt, seine Augen funkelten. Er hatte sämtliche menschlichen Züge verloren. Er war … eine Bestie.
Ein Kloß saß in ihrem Hals, der sich weder nach unten noch nach oben bewegen wollte. Sie spürte wie sich alles in ihr zusammenzog und …
Das weiße Wesen mit den blutigen Händen und der blutigen Schnauze. Inmitten zweier toter Körper, die es ausgeweidet zu haben schien. Es hielt etwas in der Hand …
Etwas wie …
… ein menschliches Herz. Nicht irgendein Herz …
Faiths Gedanken drehten sich. Sie sah die Gesichter. Gesichter, die sie bisher begleitet hatten.
Sie waren tot. Einem der beiden … fehlte das Organ, das die Bestie vor ihr in den Händen hielt.
Bestie …
Faith keuchte.
Als sie noch klein gewesen war, hatten sie diese Geräusche geweckt. Seltsame, fremde Geräusche. Hatte sie in einem Haus gelebt? Diese Laute überlagerten alles … und dann hatte sie Jack gesehen. Über den Leichen. Das Reißen war verklungen.
„Du … hast …“
„Faith!“ Ein Schrei unterbrach sie und sie wandte sich um. Die Straße kam eine Gestalt entlanggelaufen.
Aaron!
„Nein“, flüsterte Faith. Wenn er sich jetzt einmischte, musste alles im Chaos versinken. Voller Angst wollte sie einen Schritt auf ihn zumachen. Sie verlor Jack aus den Augen.
Aaron kam an Faith heran, sie streckte gerade die Hand nach ihm aus, als ihn ein weißer Schatten umriss. Sie schrie auf und wollte sofort zwischen die beiden. Die Kämpfenden rollten quer über die Straße, direkt auf die unfertige Brücke zu.
„Aufhören“, schrie Faith aus Leibeskräften. Keiner hörte auf sie. Jack hatte sich über ihre einstige Liebe erhoben und versuchte ihm mit den Klauen die Kehle zu zerreißen. Aaron lag unter ihm und wehrte sich mit aller Kraft.
„Aaron!“ Es schien ihr, als würde sie nur in Zeitlupe ihrem Ziel näher kommen. Verzweiflung brannte in ihren Augen. Sie wollte Aaron nicht auf diese Art verlieren.
Er wandte eine Sekunde den Blick zu ihr. Faith starrte ihn an, es schien als würde er ihre Angst und Verzweiflung erkennen.
„Lauf!“, formten seine Lippen.
Er packte Jack am Hals und stieß ihn mit einem Tritt von sich. Der Junge heulte auf, schlitterte auf den Abgrund zu und … zog Aaron mit!
Ein Aufschrei! Faith kam an den Rand und sah wie Aaron sich mit einer Hand festhielt. Jack krallte sich in seinen Körper und versuchte, ihn mit sich zu reißen.
„Aaron!“ Sie beugte sich über den Rand und streckte die Hand aus, versuchte vergeblich, ihn zu erreichen.
„Bring Dich in Sicherheit, Faith,“ keuchte er angestrengt, doch seine Lippen formten ein sanftes Lächeln. „London … ist kein
Weitere Kostenlose Bücher