Zirkus zur dreizehnten Stunde
versuchten, sie loszuwerden oder muteten ihnen ein Leben in diesen Slums zu. Diese Dirnen verdienten, was sie ihnen gab.
Wie oft hatte sie eine von diesen Huren bei ihrem Mann in der Praxis gesehen. Weinend und bettelnd, dass man ihnen das Kind doch wieder entfernen sollte.
Heute war wieder eine dran.
Mary fuhr mit der Kutsche vor. Damian verließ kurz das Gefährt und kam schließlich mit jemandem zurück. Oder besser mit einem Etwas!
Mary rümpfte die Nase. Was zum Teufel war das? Dieses Gesicht, so fahl und blass. Langezogen endete es in einem schnauzeähnlichen Gebilde. Die Gliedmaßen viel zu lang und schlaksig. Wie sollte er in der Lage sein, einem dieser Mädchen das anzutun, was sie wollte?
„Darf ich vorstellen“, Damian verbeugte sich kurz. „Jack. Oder sollten wir ihn lieber Jack the Ripper nennen?“
Jack the Ripper. Einen Moment starrte sie das Wesen an. Warum nicht? Sie hätte stets alles unter Kontrolle. Und sollte man ihnen irgendwann auf die Schliche kommen, dann nahmen sie nur dieses armselige Ding fest.
Sie lächelte. In ihrem Kopf formten sich bösartige Pläne. „Die erste Stunde beginnt.“
***
Der Morgen graute noch nicht. Die Nacht regierte. Es war kurz vor halb sechs. Nur diese Huren trieben sich noch herum, darunter auch sie, Annie Chapman.
Mary zog sich die Mütze tief ins Gesicht und deutete Jack, ihr zu folgen. Der Junge war flink, das musste man ihm lassen, und unauffällig.
„Du suchst also ein Geschenk für deine Freundin?“ Damian hatte ihr auf der Fahrt davon erzählt. Scheinbar brauchte der Kleine noch einen Grund, so etwas zu tun. Nicht mehr lange und bald würde er aus purer Lust ihrer Pfeife folgen.
„Hier!“, sie deutete auf ihren Unterleib, „hier liegt das, was einer Frau gefällt. Hol es dir von ihr. Aber sei vorsichtig, sie darf nicht schreien.“
„Wen?“, fragte Jack und ein Leuchten trat in seine Augen. Ein Leuchten, das ihr verriet, dass er die Lust am Töten schon kennengelernt hatte. Mary lächelte.
„Dort.“ Sie deutete auf eine etwas korpulentere Frau. Sie war ungefähr Ende vierzig, trug einen schwarzen Rock, ein braunes Oberteil, alles wurde von einem Umhang halb verdeckt, den sie sich gerade überwarf. Dann verschwand sie in einer Seitenstraße.
„Viel Spaß damit“, meinte Mary und ließ Jack laufen.
Sofort war er hinter ihr her, jagte in die abgelegene Gasse. Ein gurgelnder Laut ertönte, dann war es vorbei.
Mary folgte ihm, stand hinter Jack als dieser sein Werk begann. Er schnitt den Brustkorb auf, zog an Därmen und Innereien. Er zerrte wie verrückt bis er sich dann schließlich dem Unterbauch zuwandte. Das Kleid zerschnitten, öffnete er ihre Beine und begann dort das Messer anzusetzen. Seine Hände waren blutig, alles roch danach. Doch der Hundejunge hörte nicht auf. Wie in einem Rausch schnitt er, bis er hatte, was er wollte. Triumphierend holte er die Gebärmutter heraus.
Er lernte schnell, das musste Mary ihm lassen.
Einige letzte Handgriffe nahm sie selbst vor. Jack war bereits in der Nacht verschwunden. Aber er würde wiederkommen. Sie hatte seinen Ausdruck gesehen. Das Leuchten in seinen Augen. Die Faszination, einen Körper in Stücke zu reißen. Ihn neu zu gestalten.
Er würde diese Faszination niemals wieder verlieren.
18. XV – Der Teufel
Sie war gelaufen, einfach nur gelaufen. Immer weiter in die verwinkelten Gassen von London, bis sie selbst nicht mehr wusste, wo sie war. Ihr Kopf dröhnte und die ganze Welt schien hin und her zu schaukeln, als hätte eine gewaltige Hand einfach die ganze Realität angeschubst.
Faith stöhnte auf. Die Begegnung hatte sie viel Kraft gekostet. Aaron hatte sich negativ über ihr Zuhause geäußert. Sie hatte so gehofft, dass –
Was eigentlich? Dass er mit ihr kommen würde? Dass er sein Leben in der Stadt aufgäbe?
Sie selbst wollte jedenfalls nicht mehr hier leben. Sie wollte keine Menschen um sich haben, die ihre Familie mit so schändlichen Worten belegten.
Es war mitten in der Nacht, mitten in der Stadt, alles endete mitten im Chaos. Sie sah sich verwirrt um. Wieder ein neuer Teil der Stadt, wieder ein Ort, an dem sie sich nicht auskannte. Ihr Blick schweifte in der Umgebung. Es sah aus wie an vielen Plätzen der Stadt. Ein Hinterhof, dunkle Gassen, Müll, einige Kleidungsstücke versuchten zu trocknen und hin und wieder war das Quietschen und Fiepen von Ungeziefer zu hören.
Ansonsten gab es nicht viel zu sehen. Auch keinen Hinweis, wo genau sie war oder wie sie am
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