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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aus, daß der
Befall der Bougainvilleen noch unerfreulichere Ausmaße angenommen hatte.) Mr. Bannerjee
erzählte seine Geschichte noch ein paarmal, und jedesmal schilderte er Mr. Lals
Bemühungen, den Bougainvilleen Herr zu werden, als noch verwegener und noch destruktiver.
Überall im Clubhaus und im Ankleideraum war man bester Stimmung. Mr. Bannerjee schien
es nichts auszumachen, daß der Vormittag zu weit fortgeschritten war, um noch Golf
zu spielen.
    [36]  Das unerwartet
kühle Wetter änderte nichts an den Gewohnheiten der Duckworthianer, die Golf und
Tennis vor elf Uhr vormittags oder nach vier Uhr nachmittags zu spielen pflegten.
Während der Mittagsstunden tranken die Clubmitglieder etwas, nahmen einen Lunch
zu sich oder saßen einfach nur unter den Deckenventilatoren oder im tiefen Schatten
des Ladies’ Garden, der nie ausschließlich von Damen genutzt (und auch nicht übermäßig
von ihnen frequentiert) wurde – heutzutage jedenfalls nicht mehr. Doch den Namen
des Gartens hatte man seit den Zeiten der purdah unverändert beibehalten, als bei
einigen Muslimen und Hindus die Frauen noch in völliger Abgeschiedenheit lebten,
um nicht den Blicken der Männer oder fremder Leute ausgesetzt zu sein. Farrokh fand
das eigenartig, denn die Gründungsmitglieder des Duckworth Sports Club waren Briten
gewesen, die hier nach wie vor willkommen waren und sogar einen kleinen Anteil der
Mitglieder stellten. Soweit Dr. Daruwalla wußte, war es bei den Briten nie üblich
gewesen, daß sich die Frauen separierten. Die Gründer hatten einen Club im Sinn
gehabt, der jedem Bürger von Bombay offenstand, vorausgesetzt, er hatte sich als
führende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens hervorgetan. Wie Farrokh und die
anderen Mitglieder des Ausschusses bestätigt hätten, ließ sich über die Definition
von »führende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens« eine ganze Regenzeit lang
– und länger – diskutieren.
    Traditionellerweise
war der Vorsitzende des Duckworth Club der Gouverneur von Maharashtra. Lord Duckworth,
nach dem der Club benannt worden war, hatte es allerdings nie zum Gouverneur gebracht.
Lord D. (wie er genannt wurde) hatte dieses Amt lange angestrebt, doch wegen der
berühmt-berüchtigten Auftritte seiner Frau nicht erreicht. Lady Duckworth war mit
Exhibitionismus im allgemeinen geschlagen und dem unwiderstehlichen Bedürfnis, ihre
Brüste zu entblößen, im [37]  besonderen. Obwohl diese Unsitte Lord und Lady Duckworth
die Zuneigung vieler Clubmitglieder eintrug, war sie mit einem Regierungsamt einfach
nicht zu vereinbaren.
    Dr. Daruwalla stand
in dem kühlen, leeren Tanzsaal, wo er wieder einmal die unzähligen prachtvollen
Trophäen und die faszinierenden alten Fotografien verblichener Mitglieder betrachtete.
Farrokh genoß es, seinen Vater und seinen Großvater und die zahllosen uralten Herren,
die zu ihren Freunden gezählt hatten, in diesem Rahmen zu betrachten. Er bildete
sich ein, sich an jeden Menschen erinnern zu können, der ihm hier je die Hand auf
die Schulter oder auf den Kopf gelegt hatte. Dr. Daruwallas Vertrautheit mit diesen
Fotografien täuschte über die Tatsache hinweg, daß er nur wenige seiner neunundfünfzig
Lebensjahre in Indien verbracht hatte. Wenn er zu Besuch nach Bombay kam, reagierte
er empfindlich auf alles und alle, die ihn daran erinnerten, wie wenig er das Land,
in dem er geboren war, kannte und verstand. Je mehr Zeit er im sicheren Hort des
Duckworth Club verbrachte, um so besser konnte er sich die Illusion bewahren, daß
er sich in Indien wohl fühlte.
    Daheim in Toronto,
wo er die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens verbracht hatte, stand der Doktor
vor allem bei Indern, die nie in Indien gewesen waren oder nie dorthin zurückkehren
würden, in dem Ruf, ein echter »alter Indien-Hase« zu sein; man fand ihn sogar ziemlich
tapfer. Schließlich kehrte er alle paar Jahre in das Land seiner Herkunft zurück.
Und dort arbeitete er als Arzt – unter Umständen, die man sich als primitiv vorstellte,
in einem Land, das bis zur Grenze der Klaustrophobie überbevölkert war. Wo blieben
da die Annehmlichkeiten, die es mit dem kanadischen Lebensstandard hätten aufnehmen
können?
    In Indien gab es
doch Wasserknappheit und Brotstreiks, und Öl und Reis wurden rationiert, ganz zu
schweigen von der völlig unterschiedlichen Zubereitung der Speisen und diesen [38]  komischen
Gasflaschen, die natürlich immer mitten in der Dinnerparty leer wurden. Und man
hörte ja auch

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