Zirkusluft
finden, »wir leben doch in Kassel und nicht in Bogota oder Rio, wo jeden Tag Menschen auf solch brutale Weise umgebracht werden. Und die Frau tut mir wirklich leid, mit einem Baby im Bauch.«
Lenz musste erneut an die Szene vom Morgen denken.
»Es war gruselig, wirklich. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.«
»Und es gibt gar keinen Anhaltspunkt, wer es gewesen sein könnte?«
»Leider nicht. Wir tappen völlig im Dunkeln.«
Sie griff zu ihrem Sektglas und trank einen Schluck des inzwischen warm und schal gewordenen Getränks.
»Vielleicht hat der Mörder sich ja geirrt und wollte eigentlich jemand anderen umbringen?«
»Das ist eine Möglichkeit, aber auch dafür fehlen uns im Moment die Anhaltspunkte. In den nächsten Tagen nehmen wir sein komplettes Umfeld unter die Lupe, vielleicht ergibt sich ja dadurch etwas.«
»Ich wünsche es dir.«
Ihr Blick fiel auf die Uhr an seinem Arm.
»Erst halb eins? Das kann nicht sein, Paul!«
Mit fliegenden Fingern griff sie nach ihrem Mobiltelefon und drückte eine Taste.
»Sag ich doch, schon nach zwei.«
»Dann war es wohl doch nicht die Batterie«, sinnierte Lenz.
Maria legte das Telefon zurück auf den Tisch und schmiegte sich an ihn.
»Noch fünf Minuten, dann muss ich los. Aber bis dahin will ich möglichst viel Haut von dir spüren. Und ich will das Versprechen, dass du mir immer abends deinen Tag erzählst, so wie jetzt. Ich mag nämlich Krimigeschichten, auch wenn es sich vorhin nicht so angehört hat. Und ich mag dich. Ich mag dich sogar sehr.«
»Wie wäre es, wenn du jetzt und in diesem Moment mal das böse L-Wort in den Mund nehmen würdest?«
Sie stöhnte auf und versuchte, sich von ihm zu lösen.
»Oje, jetzt muss ich aber wirklich nach Hause, sonst rede ich mich vielleicht noch um Kopf und Kragen.«
Er hielt sie fest und sah ihr in die Augen.
»Ich liebe dich und freue mich auf den Wahlausgang im März.«
Sie versteifte sich für einen Moment, ergab sich dann jedoch seiner Kraft und schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Ich mich auch, Paul. Und fühl dich, als hätte ich das L-Wort gesagt, aber lass mir noch ein bisschen Zeit zum Üben.«
10
Bülent Topuz hob ein Augenlid. Er versuchte, seine wirren Gedanken zu ordnen und etwas zu erkennen, aber weder das eine noch das andere wollte ihm gelingen. Sein Kopf fühlte sich an, als säße jemand darin und prügelte bei jedem Pulsschlag mit einem Hammer gegen irgendwelche Gehirnwindungen. Er schloss das Auge, um im nächsten Moment beide zu öffnen, doch noch immer konnte er keine Konturen ausmachen. Der Raum, in dem er sich befand, war stockdunkel.
»Haben Sie Schmerzen?«
Topuz zuckte panisch zusammen, als ihm klar wurde, dass er nicht allein war. Dann wurde es schlagartig hell. Er kniff die Augen zusammen und versuchte zu blinzeln, aber das helle Licht bereitete ihm zusätzliche Schmerzen im Kopf.
Die andere Person im Raum schaltete das grelle Licht wieder aus und ein anderes, weniger helles an.
»Besser so?«
Die Stimme eines Mannes.
»Wer sind Sie?«, wollte Topuz fragen, aber es kamen keine Worte aus seinem Mund. Nur ein undeutliches Stöhnen. Die Panik, die den jungen Mann ergriffen hatte, wurde immer schlimmer, jedoch konnte er nun erkennen, dass er auf dem Boden seines eigenen Wohnzimmers lag. Und er spürte, dass seine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren und sein Mund mit Klebeband präpariert.
Der Mann, der ihn angesprochen hatte, kam auf ihn zu und baute sich über ihm auf. Ein groß gewachsener Mann mit hellen Haaren, Kinnbart, dunkler Mütze und einem freundlichen Gesicht. Einzig die schwarzen Lederhandschuhe, die er trug, wollten nicht ins Bild passen.
»Ich muss sicher sein, dass Sie keinen Unsinn machen, dann nehme ich Ihnen die Fesseln ab.«
Topuz nickte eifrig und gab bestätigende Laute von sich.
»Ich vertraue Ihnen«, bemerkte der Fremde, beugte sich über ihn und durchtrennte mit einem Messer den Kabelbinder, mit dem Topuz ’ Hände zusammengebunden waren. Dann griff er dem Türken unter den Arm und hievte ihn auf einen Sessel. In diesem Moment sah Bülent Topuz die Waffe in der Hand des Mannes. Eine große, dunkel und bedrohlich schimmernde Waffe mit einem glänzenden Schalldämpfer. Bülent hatte oft genug in Filmen Gangster mit schallgedämpften Pistolen gesehen, um genau zu wissen, was los war. Sein Blick erstarrte.
»Haben Sie bitte keine Angst, Herr Topuz .«
Bülent Topuz hatte bis zu diesem Moment gehofft, er wäre das Opfer eines
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