Zirkusluft
Kollege Fehling so alles im Internet getrieben hat, weil er nun mal faul war. Das machen übrigens viele Menschen so, weil es halt viele faule Menschen gibt auf unserem schönen Planeten.«
»So weit die Theorie«, bremste Lenz die Ausführungen seines Kollegen, »aber was hat er sich nun praktisch angesehen?«
Der Oberkommissar fuhr mit der Bleistiftspitze die Liste abwärts und fing an zu grinsen.
»Oh, oh, ein Freund der freizügigen sexuellen Darstellung ist er schon mal gewesen, der Herr Fehling.« Er tippte auf zwei Einträge. »Hier und hier, das sind Pornoseiten. Hardcore aus Amerika.«
Wieder sah Lenz ihn erstaunt an.
»Und das weißt du alles aus dem Kopf?«
»Rein dienstlich«, antwortete Hain, noch immer grinsend, und bewegte den Bleistift weiter abwärts.
»Hier gibt es Seiten, von denen habe ich noch nie etwas gehört, die müssen wir uns später genauer ansehen.«
Er blätterte weiter nach unten.
»Viele Onlineausgaben von Zeitungen hat er angeklickt. Hier die Süddeutsche, dann wieder den Spiegel, die FAZ, und hier die Lokalpresse. Da war er oft drin, immer in verschiedenen Unterverzeichnissen oder Foren.«
»Kannst du sehen, was er da gemacht hat?«
»Nein, das geht nicht so einfach. Aber ich vermute, er war als Benutzer und Mitglied unterwegs, das heißt, er hat wahrscheinlich Kommentare verfasst.«
Lenz sah ihn verwirrt an.
»Wie jetzt, Kommentare verfasst?«
Hain versuchte, möglichst ruhig und sachlich zu bleiben, während er seinen Chef in die Grundlagen von Forumsdiskussionen einweihte.
»Stell dir vor, du sitzt in einem Café und liest in einer Zeitung, zusammen mit vielen anderen Cafébesuchern. Ihr alle lest in der gleichen Zeitung. Dann steht einer auf und fängt an, seine Meinung zu einem bestimmten Artikel herauszuposaunen. Ein anderer antwortet darauf, ein dritter mischt sich auch noch ein. Ruckzuck steckst du mitten in einer lebhaften bis zutiefst unsachlichen Diskussion. Und wenn du dir weiterhin vorstellst, dass alle anonym sind und du von keinem irgendwas zu befürchten hast, reißt du dein Maul bestimmt ziemlich weit auf, wenn dir eine andere Meinung nicht passt.«
Lenz überlegte einen Moment.
»Und das hat Fehling gemacht?«
»Vermutlich, ja. Um es genau zu wissen, müssen wir uns wahrscheinlich ein paar Stunden länger mit dem Rechner beschäftigen und vielleicht ein bisschen rumtelefonieren.«
»Und wie bist du darauf gekommen, dass das die Verbindung zwischen den beiden ist?«
»Als ich Bülents Schreiben gesehen hab, kam mir der Verdacht. Wie beleidigt man jemanden, den man gar nicht kennt? Da beide viel Zeit am Computer verbracht haben, war die Verknüpfung nicht sonderlich schwer. Allerdings ist das bis jetzt alles reine Vermutung, nicht mehr. Der größte Haken dabei ist nämlich, dass es für Otto Normalverbraucher nahezu unmöglich ist, an mehr als den eingetragenen Forumsnamen des anderen heranzukommen.«
Lenz atmete tief ein.
»Was heißt denn das jetzt wieder, Thilo?«
»Ganz einfach. Jeder Teilnehmer eines Forums meldet sich mit einem Fantasienamen an. Er muss zwar in der Regel eine E-Mail-Adresse angeben, aber das besagt gar nichts, weil auch die ohne Personalisierung vergeben wird. Also gibt es jede Menge Möglichkeiten, seine wahre Identität zu verschleiern. Und von den sogenannten Anonymizern will ich jetzt gar nicht reden. Der einzig vorstellbare Weg, zumindest für einen Halbgebildeten wie mich, an die persönlichen Daten eines Teilnehmers zu kommen, ist demnach über die IP-Adresse .«
»Der Adresse des Internetnutzers?«
Hain winkte ab.
»Wenn es so einfach wäre. Mal angenommen, Fehling hat keinen Anonymizer benutzt, ein Programm, das die eigene IP beim Surfen verschleiert. Und er hat sich nicht in einem Internetcafé herumgetrieben und von dort aus eingewählt , dann könnte man über den Zeitpunkt, zu dem er online war, seine IP herausbekommen. Aber damit hat man noch gar nichts gewonnen, selbst wenn man jetzt den Provider, also den Anbieter, über den er sich ins Internet einwählt, herausbekommen haben sollte, was noch lange nicht sicher ist. Alles Weitere geht nämlich in der Regel nur mit einem richterlichen Beschluss, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, und die sehe ich hier nicht. Außerdem ist Topuz kein Staatsanwalt gewesen.«
Lenz griff sich an den Kopf.
»Meine Güte…«
»Und als ob das alles noch nicht genug wäre, gibt es ein weiteres Problem: Sollte Fehling eine Flatrate , also eine monatliche Pauschale für
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